Andauernde Finanzkrisen, taumelnde Eurostaaten, stringente Spardiktate, die in vielen Volkswirtschaften zu extremen sozialen Härten führen und immer wieder Turbulenzen rund um den Euro erfordern ein Umdenken hinsichtlich unseres derzeitigen Geldsystems. Immer häufiger im Gespräch ist ein Vollgeldsystem. Wie funktioniert es und kann es dazu beitragen, die derzeitigen Probleme zu lösen? Was bedeutet ein solches System für Banken und Gesellschaft und ist es für alle europäischen Länder tauglich? Prof. Dr. Franz Hörmann stellt sich unseren Fragen. Der Experte, der an der Wirtschaftsuniversität in Wien (WU) lehrt, befasst sich bereits seit geraumer Zeit mit dem Thema Geldsystem.
Herr Prof. Hörmann, unter anderem denkt Island aktuell ernsthaft über ein sogenanntes Vollgeldsystem nach und auch in der Schweiz hat sich hierzu eine Bürgerinitiative gebildet. Wie funktioniert dieses System?
In einem Vollgeldsystem wird Geld nicht als Schuldschein einer Geschäftsbank erzeugt („geschöpft“), sondern von einer zentralen Institution (z.B. der Nationalbank) nach gemeinschaftlich bestimmten (Bewertungs-)Regeln. Währungseinheiten „in Vollgeld“ werden daher „als Eigenkapital“ erschaffen, nicht als Schuld (Fremdkapital einer Geschäftsbank).Heute ist jede Zahlung einer Bank (sowohl bei der Kreditvergabe als auch wenn eine Bank etwas kauft, mietet oder Mitarbeiter bezahlt) in Wahrheit nur ihr ungedeckter Schuldschein, denn sie bucht den Betrag am Girokonto des Zahlungsempfängers und alle Girokonten stehen als Verbindlichkeit auf der Passivseite ihrer Bilanz (sog. Sichteinlagen), daher auch die Bezeichnung „Schuldgeld“ für das heute verwendete Giral- oder Buchgeld, das ca. 95% der gesamten Geldmenge ausmacht.
Bankkunden, die heute ihr Bargeld zur Bank tragen, verlieren damit ihr Eigentum an diesem Geld, übrig bleibt nur eine Forderung gegenüber der Bank, denn die Bank wird zum rechtlichen Eigentümer der Kundengelder. In Zeiten, in denen Staatshaftungen für Sparbücher etc. gerade abgeschafft werden und zugleich Banken immer heftiger in Schieflage geraten, ist daher ein Vollgeldsystem, bei dem die Bank nur mehr die Funktion eines Treuhänders übernimmt und das Eigentum am Geld für den Bankkunden erhalten bleibt, ein notwendiger Schutz für alle Nicht-Banken.
Welche Effekte würden denn aus einem Vollgeldsystem für Banken, aber auch für die Bürger resultieren?
Geschäftsbanken können im Vollgeldsystem durch die Kreditvergabe nicht mehr neues Geld erzeugen („schöpfen“), womit die dadurch immer wieder künstlich erzeugten Preisblasen auf verschiedenen Märkten (zuletzt v.a. bei Immobilien) vermieden werden. Die Geldschöpfung erfolgt zentral (durch die Nationalbank) aufgrund gemeinschaftlich bestimmter, demokratisch legitimierter Regeln. Sowohl die Geldschöpfung als auch die Geldvernichtung sind dann transparent und für alle Menschen gleich verständlich. Heute wird das (Schuld-)Geld bei der Kreditvergabe neu erzeugt und bei der Kreditrückzahlung wieder vernichtet. Dies erzeugt in Phasen des Wirtschaftsaufschwungs unvermeidbare „Übertreibungen“ (Preisblasen), die nach dem Platzen zu einem Wirtschaftsabschwung führen, der durch geringere Kreditvergaben im Abschwung zusammen mit der Geldvernichtung bei Kreditrückzahlungen (Banken stellen ja in der „Krise“ vermehrt ihre Kredite fällig!) automatisch in Finanzkrisen endet.
Diese heute sogenannten Konjunkturzyklen wären in einem Vollgeldsystem weitestgehend vermeidbar. Außerdem wird Missbrauch bei der Kreditvergabe vermieden (sog. Überfinanzierungen), da die Banken dann tatsächlich nur Geld verleihen können, das bereits vorhanden ist. Dies wird auch heute von einigen Bankern behauptet, ist aber nachweislich falsch. Schließlich können in diesem System aber auch die Kreditnehmer (d.h. Privatleute, Unternehmer aber auch ganze Staaten) nicht mehr in Form einer „Schuldenbetreibung bzw. –krise“ erpresst werden, daher sichert es nicht nur den individuellen Lebensstandard sondern auch den Fortbestand der Demokratie.
Das Vollgeldsystem könnte unter dem Strich dann auch bewirken, dass Steuerzahler künftig nicht mehr für die immensen Schieflagen der Banken in Haftung genommen werden?
Der Schutz der Steuerzahler vor sog. Bankenrettungen (also dem Zugriff auf Steuergelder im Interesse der Bankeigentümer) ist auch ohne Vollgeldsystem sofort möglich, wenn man z.B. eine gesetzliche Bestimmung einführen würde, dass Banken bei ausfallenden Krediten nicht nur ihre Forderungen (als Aufwand) sondern zugleich auch die Sichteinlagen (da es für sie Verbindlichkeiten sind daher als Ertrag) in gleicher Höhe auflösen könnten bzw. müssten. Zugleich wird dann in der Bilanz eine „Rücklage zur Umlaufsicherung“ gebildet, sodass dieser Ertrag nicht als Teil eines Gewinnes ausgeschüttet werden kann, sondern an das Unternehmen (hier an den Bankengeldkreislauf) gebunden bleibt. Dann kreist das Giralgeld weiter auf den Bankkonten, ist aber aus Sicht der Bank nicht mehr Fremd- sondern Eigenkapital.
Diese Technik nennt man „Debt-/Equity-Swap“, also die Umwandlung einer Schuld in Eigenkapital, z.B. in eine Unternehmensbeteiligung des Gläubigers, und sie ist Routine im Rahmen von Unternehmenssanierungen. Dieses neue Eigenkapital wäre dann aber eine staatliche Beteiligung an der Bank, d.h. nicht nur wäre die „Rettung“ der Bank kostenlos (per Buchungssatz anstatt durch Steuergeld), der Staat würde sich zugleich (ebenfalls gratis!) an der Bank beteiligen und könnte so politischen Einfluss auf die Bank gewinnen, bis hin zu dem Punkt, dass Banken irgendwann Geld für das bedingungslose Grundeinkommen schöpfen könnten!
Alle Steuergelder, die zur „Bankenrettung“ verwendet wurden, waren daher nicht sinnvoll eingesetzt, denn Schulden, die als Buchungssatz entstehen, können natürlich jederzeit auch als Buchungssatz wieder getilgt werden. Im Vollgeldsystem ist ein solcher Missbrauch der Kreditgeldschöpfung aber schon im Vorfeld unmöglich.
Banken werden als systemrelevant eingestuft. Würde sich dies mit der Einführung eines Vollgeldsystems ändern?
Banken sind schon heute nicht „systemrelevant“, denn die Menschen benötigen nur ein persönliches Konto, das ja z.B. auch die Sozialversicherungen oder die Telefongesellschaften führen können. Würde ein bedingungsloses Grundeinkommen (als soziale Maßnahme) eingeführt, das die Sozialversicherung auf ihren Konten auch gleich verwalten würde, dann wäre der Geldbedarf der Realwirtschaft und der Privathaushalte gesichert, die Geldschöpfung fiele in die Zuständigkeit des Sozialministeriums und das Finanzministerium könnte mangels Zuständigkeiten geschlossen werden.
Banken können aber auch in einer freieren Gesellschaft noch sehr sinnvolle Aufgaben erfüllen, z.B. indem sie die realwirtschaftlichen Produktionsprozesse in kooperativer Form (anstatt als Preiskonkurrenz) vermittels online-Prozessmanagement verwalten und dabei die Kooperationspartner beim gemeinsamen Lernen unterstützen. Solche Ideen sind auf der Website http://www.zukunftsbanken.eu veröffentlicht – jene Banken, die als erste diesen Schritt wagen, werden die Trendsetter im 3. Jahrtausend sein.
Was halten Sie von einem Vollgeldsystem und wäre dies eine Lösung für alle Länder, die dem Euro angeschlossen sind?
Das Vollgeldsystem ist ein wichtiger erster Schritt hin zu einer demokratischen Geldordnung, denn Demokratie beginnt mit einem demokratischen Geldsystem! Freilich bildet das Vollgeldsystem „Geld“ immer noch als Tauschmittel ab, wenngleich eine aufgeschriebene Zahl nur den Wert von etwas anderem darstellen kann und selbst keinen (Tausch)Wert haben kann. Ehrlicher und fortschrittlicher ist aus meiner Perspektive daher das Informationsgeld („InfoMoney“), das ich auf der Website http://www.informationsgeld.info beschrieben habe und dem ich ein sehr positives Entwicklungspotential für eine freiere, friedlichere Gesellschaft zutraue.
Auch das InfoMoney ist eine Vollgeldvariante, nur, dass hier Geld keinen Eigenwert mehr besitzt: wer leistet, erhält frisches Geld geschöpft (Buchung „Kassa an Ertrag“), wer konsumiert, dem wird Geld vernichtet (Buchung „Aufwand an Kassa“). Da Geld in diesem System als Tauschmittel nicht mehr existiert, gibt es auch keine Umverteilung mehr, die Gesellschaft wird vom Nullsummenspiel in ein Plussummenspiel (in dem wir alle ZUGLEICH unseren Wohlstand erhöhen können) transformiert. In dieser Variante liegt daher das höchste positive Veränderungspotential, sie ist aber, zumindest zu Beginn, noch schwerer geistig nachvollziehbar als ein rein elektronisches „Tauschmittel“ (Vollgeld, das nicht als InfoMoney ausgestaltet ist).
Wie hoch schätzen sie die Wahrscheinlichkeit ein, dass sich das Vollgeldsystem in Europa etabliert?
Ich bin völlig überzeugt davon, dass sich in den nächsten 2-3 Jahren in irgendeiner europäischen Region eine Vollgeldvariante etablieren wird, deren Vorteile aus Sicht der Nicht-Banken so überzeugend nachgewiesen werden können, dass sich dieses Modell danach mit großer Geschwindigkeit nicht nur in Europa sondern sogar global etablieren wird. Einen ersten „Vorgeschmack“ hat ja schon der Siegeszug der BitCoins geboten, wenngleich genau daran (elektronisches Geld in Form eines mit einem Eigenwert versehenen Tauschmittels) auch wieder das nach wie vor vorhandene Missbrauchspotential (Spekulationsexzesse, Betrug mit BitCoin-Börsen etc.) deutlich erkennbar wurde. Informationsgeld (http://www.informationsgeld.info) ist speziell dafür entwickelt worden, solchen Missbrauch in Zukunft nachhaltig zu verhindern und zwar nicht durch ausgeklügelte Verschlüsselungstechnik sondern einfach durch das zugrundeliegende Design, in welchem Gesetze, Verträge, Prozesse und Zahlungsmittel Teile ein- und derselben Datenstruktur sind, diese Komponenten sich daher in Echtzeit laufend selbst überwachen können.
In jedem Fall wird aber die demokratische Veränderung des Geldsystems zugleich zu einem Erwachen der menschlichen Gesellschaft führen, weil Selbstverantwortung und Selbstorganisation schrittweise an die Stelle von Delegation und Fremdbestimmung treten werden.
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