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Volksentscheide auf Bundesebene – Interview mit Prof. Dr. Christian Pestalozza

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Fiskalpakt, ESM, EFSM und weitere kreative Rettungsschirme passierten bisher mühelos die Hürden im Parlament. Dies ruft trotz derzeit trügerischer Ruhe in Hinblick auf die Euro-Krise weiterhin viele Kritiker auf den Plan. Sie sehen einen zu starken Eingriff in die Haushaltsrechte und eine damit einhergehende Gefahr für die Demokratie. Während das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe Rettungsschirme bisher unter Vorbehalt abnickte, bleibt der Unmut im Volk bestehen. Der Ruf nach Volksentscheiden auch auf Bundesebene wird lauter. Doch inwieweit kommt unser Land mit einer solchen Forderung voran? Wir haben nachgefragt: Im Gespräch mit dem Staatsrechtler Prof. Dr. Christian Pestalozza, Freie-Universität zu Berlin.

Foto: Max Lautenschlaeger

Foto: Max Lautenschlaeger

Herr Prof. Pestalozza, unter anderem auch durch die anhaltenden Diskussionen rund um die Verabschiedung zu Gesetzgebungen wie etwa Fiskalpakt, ESM, EFSF, EFSM etc. wird der Ruf nach Volksentscheiden auch auf Bundesebene immer lauter. Was halten Sie von solchen Forderungen?

Das Grundgesetz behandelt Volksabstimmungen recht stiefmütterlich. 1948/49 hatte das nachvollziehbare Gründe; sie gelten heute nicht mehr. Nachdem das Grundgesetz mehr geworden ist als das vorläufige Organisationsstatut der damaligen Westzonen, sollte seriös – und das heißt unabhängig von der jeweiligen Regierungsmehrheit – über eine Vermehrung der Volkszuständigkeiten auf Bundesebene nachgedacht werden. Vor Übertreibungen sollte man sich dabei allerdings hüten. Wir haben bereits eine gut ausgestaltete Demokratie, und alles, was darüber hinausgeht, ist eine Art Luxusausstattung.
Was davon wir uns leisten können und sollten, ist eine Frage, die sich nicht allgemein, sondern nur konkret, d.h. im Hinblick auf die einzelnen Abstimmungskompetenz, um die es gehen soll, beantworten läßt.

Augenblicklich kommt es bezüglich der Gesetze zum Fiskalpakt und ESM zu etlichen Klagen vor dem Bundesverfassungsgericht. Kritiker sehen unzulässige Eingriffe in die Verfassung und eine Aufweichung der Hoheitsrechte beim Haushalt. Sehen Sie dies ähnlich?

In dem Maße, in dem die Vereinbarungen im Zusammenwirken mit den deutschen Zustimmungsgesetzen Internationalen Einrichtungen deutsche Hoheitsrechte übertragen, verringern sie deutsche Zuständigkeiten und ändern sie damit der Sache nach zugleich das Grundgesetz, weil sie die von ihm ursprünglich begründete Kompetenzfülle deutscher Verfassungsorgane schmälern. Zu Recht verlangt Art. 23 GG deswegen für derartige Schritte dieselben Mehrheiten im Bundestag und im Bundesrat, wie sie für eine förmliche Verfassungsänderung notwendig sind.

Sind diese Mehrheiten gesichert, ist der “Eingriff” in die Verfassung (durch Kompetenzübertragung) nicht “unzulässig”, sondern gerechtfertigt. Etwas anderes würde nur dann gelten, wenn die Änderung an den durch Art. 79 Abs. 3 GG geschützten, unabänderlichen Verfassungskern rühren sollte. Ich zweifle, daß diese verfassungsänderungsfeste Zone hier erreicht ist.

Kritiker sind der Ansicht, dass sich solche Eingriffe nur durch eine Verfassungsänderung legitimieren lassen – dann über einen Volkentscheid. Ist das in Ihrer Sicht eine korrekte Analyse?

In die soeben genannte verfassungsänderungsfeste Zone kann der Gesetzgeber nur eindringen, wenn er das Grundgesetz (einschließlich des Art. 79 Abs. 3 GG) durch ein neue Verfassung ersetzt, die ihm mehr gestattet als das Grundgesetz jetzt. Art. 146 GG sieht vor, daß das Grundgesetz durch eine neue Verfassung, die das deutsche Volk beschließt, abgelöst werden kann.

Ob das wirklich so zu verstehen ist, daß diese Ablösung unbedingt durch Volksentscheid abgesegnet werden muß, ist unsicher; darüber wird gestritten. Immerhin spricht ja auch unser geltendes Grundgesetz davon, daß es vom Deutschen Volke beschlossen worden sei, wohlwissend, daß es zu keinem Zeitpunkt durch eine Volksabstimmung zusätzlich legitimiert worden ist.
Auch wenn Art. 146 GG deswegen nicht so beim Wort genommen werden können sollte – es wäre jedenfalls politisch sehr zu raten, einen Grundgesetz-Ersatz nicht ohne Volksentscheid auf den Weg zu bringen.

Welcher Voraussetzungen bedarf es, um Volksentscheide auf Bundesebene mit derart weitreichenden Entscheidungen zu installieren?

Wenn man daran denkt, weitere Europäisierungsschritte, die sich im Rahmen des Art. 23 GG (also zugleich im Rahmen des Art. 79 Abs. 3 GG) halten, zusätzlich durch Volksabstimmungen zu legimitieren, bedarf es lediglich einer entsprechenden Ergänzung des Art. 23 GG.

Wenn die betreffende Europäisierung über das nach Art. 23 GG Erlaubte hinausgehen (und an Art. 79 Abs. 3 GG rühren) soll, kommen Sie mit einer Änderung allein des Art. 23 GG nicht aus, und weil Sie nach allgemeiner und zutreffender Auffassung auch Art. 79 Abs. 3 GG im Wege normaler Verfassungsänderung nicht isoliert aufheben oder beschneiden können, bleibt nur der Weg über eine neue Verfassung, also der Weg des Art. 146 GG.

Auf Länderebene werden Volksentscheide, die aus Volksbegehren hervorgehen, praktiziert. Wäre dies ein übertagbares Modell auch für die Bundesebene?

Aus dem erfreulichen Umfang, in dem die direkte Demokratie unterdessen in allen Bundesländern eingeführt und in manchen dieser Länder auch genutzt wird, läßt sich einiges lernen. Aber:

  • Da die Länder aber im Detail recht unterschiedliche Modelle haben, muß man sich entscheiden, welches der Modelle man „übertragen“ sehen möchte.
  • Vieles kann man, muß man aber nicht übernehmen. Z.B. würde ich sehr davon abraten, in das Grundgesetz in seiner gegenwärtigen, höchst überarbeitungsbedürftigen Gestalt die Volksgesetzgebung zu übernehmen.
  • Vieles an denkbarer direkter Demokratie haben die Bundesländer nicht. Insofern gäbe es nichts zu „übertragen“. Es ginge um Premieren; hier könnten ausländische Regelungen Modell stehen.

Bestrebungen, Volkentscheide auch auf Bundesebene einzuführen, gab es bereits. Woran scheiterte bisher eine diesbezügliche, durchgreifende Reform?

Immer wieder hat die jeweilige Opposition im den Bundestagen Reformvorschläge gemacht, und immer wieder hat die jeweilige Mehrheit den Kopf geschüttelt. Fragen Sie dort nach, warum. Eine rationale Erklärung sehe ich nicht.

Die Schweiz praktiziert als Demokratie mit repräsentativen und direkt-demokratischen Elementen sehr anschaulich, dass ein starker Einbezug des Volkes gut funktioniert. Ist dafür eine gewisse Konditionierung erforderlich?

Solange es ein Handwerkzeug nicht gibt, werden Sie nicht sicher wissen, ob es sinnvoll ist und sich bewähren wird. Was Sie vielleicht voraussagen können, ist, ob es in der Hand des Profis besser aufgehoben sein wird als in der des Amateurs. So liegt es, was unser Thema anlangt, vielleicht bei der Gesetzgebung; sie sollte nicht amateurisch betrieben werden.

Im Übrigen würde ich raten: Stellen Sie das Werkzeug her, und lassen Sie es ausprobieren. Bewährt es sich nicht, kassieren Sie es (freilich mit Wiederwahlrisiko) wieder ein.

Unabhängig vom Volksbegehren innerhalb einzelner EU-Staaten zählen Volksentscheide auf EU-Ebene zur Entscheidung EU-spezifischer Belange noch zur weit entfernten Zukunftsmusik? Oder ist das realistischer, als es so mancher denkt?

Leider blicke ich nicht in die Werkstatt der EU. Es liegt aber, nachdem man Ja gesagt hat zu EU-Wahlen, nahe, daß man über die Ergänzung durch EU-Abstimmungen nachdenkt. Beim jetzigen Stadium der Europäisierung halte ich das allerdings für verfrüht.

Das Interview führte Ursula Pidun

Lesen sie hierzu auch:

Fotoquelle: Max Lautenschlaeger

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Vertritt die AfD demokratiefeindliche Positionen?

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Im Gespräch mit Andreas Kemper. Im Juli erscheint seine Publikation: „Rechte Euro Rebellion – Alternative für Deutschland und Zivile Koalition e.V.“. Der Autor arbeitet als Doktorand an der Universität Münster zum Thema Klassismus und publiziert zum organisierten Antifeminismus sowie zum Thema Klassendiskriminierung.

Andreas Kemper, Sie haben sich auch in Hinblick auf Ihre im Juli erscheinende Publikation lange und intensiv mit der neu gegründeten Partei „Alternative für Deutschland“ (AfD) befasst. Gab es etwas, das Sie anlässlich Ihrer Recherchen völlig überrascht hat?

Überrascht hat mich immer wieder, wie gut die Puzzle-Teilchen meiner Recherche ineinandergriffen. Ich kam mir vor wie ein Paläontologe, der erst einen Knochen und dann noch einen findet, bis sich schließlich das Skelett eines Tieres ergibt, von dem man dachte, es würde in eine andere Zeit gehören.

Dass Hans-Herbert von Arnim bspw. bereits 2006 mit dem Ehepaar von Storch zu tun hatte wegen der Rückgabe der ostelbischen Adelsgüter und dass in dieser Zeit die Gründung der Zivilen Koalition fiel, das war schon überraschend. Genauso wie die Formel „Reform der politischen Entscheidungsstruktur“, die seither immer wieder auftauchte.

Was hat es mit der von Ihnen angesprochenen „Zivilen Koalition“ auf sich, also welche Ziele verfolgt dieser Verein?

Die Zivile Koalition e.V. wurde Ende 2006/ Anfang 2007 von Beatrix von Oldenburg (jetzt Beatrix von Storch) und Sven von Storch gegründet. Mit dabei war Klaus Peter Krause, der in jüngster Zeit wohlwollende Rezensionen zu Büchern geschrieben hat, in denen allen Ernstes die Rückkehr zur Monarchie gefordert wurde. Der ehemalige FAZ-Redakteur Krause schreibt für das Internet-Magazin „Freie Welt“, welches – wie eine Reihe anderer Internet-Präsenzen (ich kam bei der letzten Zählung auf acht) – zum Netzwerk der Zivilen Koalition zählt.

Es handelt sich dabei um ein ultra-konservatives, christlich-familialistisches Kampagnennetzwerk, welches über 14 Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen verfügen soll – angeblich ausschließlich über Kleinspenden finanziert. Eine bekannte Mitarbeiterin ist seit kurzem die ehemalige Bundestagsabgeordnete Vera Lengsfeld (CDU). Sie ist zuständig für das Themenfeld Direkte Demokratie und sitzt wie Klaus Peter Krause und Beatrix von Storch auch im Vorstand der marktliberal-konservativen Kampagnenschmiede BürgerKonvent e.V. Eine Kampagne des BürgerKonvents wurde damals vom Milliardär August von Finck mit sechs Millionen Euro finanziert.

Ein weiteres Gründungsmitglied, Karl Feldmeyer, hatte während der Berlin-Konferenz der Zivilen Koalition im November 2011 zur Gründung einer neuen Partei aufgerufen. Ex-BDI-Chef Hans-Olaf Henkel begrüßte das, Beatrix von Storch schwieg dazu, sie ist jetzt aber auf dem zweiten Platz der Berliner Landesliste der AfD.

Die AfD präsentiert sich gegenüber der Öffentlichkeit insbesondere als „Euro-Rebell“. Das wirkt durchaus wie ein Magnet. Doch wenden wir uns einmal der von Ihnen angesprochenen Formel „„Reform der politischen Entscheidungsstruktur“ zu. Wie müssen wir uns eine solche Reform vorstellen?

Es gibt da eine ganze Reihe von Ideen. Der Philosoph und Buchautor Peter Sloterdijk spricht von einer „neuen politischen Architektur“ und der Assistent von Sloterdijk, Marc Jongen, ist auch Mitglied der AfD. Das Ziel dieser „Reform“ scheint darin zu bestehen, das Kräfteverhältnis im „fiskalischen Bürgerkrieg“ (Sloterdijk) zwischen „gebender Hand und nehmender Hand“ (Sloterdijk) zu verändern. Nachdem es Ende der 90er Jahre zu einer rot-grünen Koalition kam, überlegten konservative Kreise, wie das politische System geändert werden könnte. Dies verschärfte sich noch einmal, als 2005 Die Linke ihren Stimmanteil verdoppeln konnte. Es gab Überlegungen, das Verhältniswahlrecht in Deutschland durch ein Mehrheitswahlrecht auszutauschen, damit Linksbündnisse verhindert werden sollten.

Soll damit kräftig am bestehenden parlamentarischen System gekratzt werden und wohin führt ein solcher Weg?

Sie werden versuchen, den Parlamentarismus zu ändern. Es gibt Bundestagskandidaten der AfD, die die Abschaffung des Parlamentarismus fordern, wie Behrendt aus NRW. Konkret geht es aber zunächst darum, die Landesminister und den Bundespräsidenten direkt wählen zu lassen. Diese Direktwahlen sollen dann verbunden werden mit einem Machtzuwachs der Ämter, weil man sich sonst – so die Argumentation – die Direktwahl gleich schenken könnte. Bei dieser Forderung nach Direktwahlen wird dann – zum Beispiel von Hans-Olaf Henkel – darauf hingewiesen, dass die Alliierten das Parteiensystem in Deutschland gestärkt hätten aus der Erfahrung mit dem Nationalsozialismus. Hitler hatte ja in Mein Kampf gegen die „jüdische“ Parteiendemokratie gewettert und stellte sie der „germanischen“ Direktwahl von Führern gegenüber.
Es wird dann argumentiert: erstens haben die Alliierten nichts mehr zu sagen, zweitens sei das deutsche Volk nicht mehr anfällig für den Faschismus, drittens mache die Globalisierung heute eine veränderte Entscheidungsstruktur notwendig.

Sie haben in einem Beitrag geschrieben, Hermann Behrendt, der zum stellvertretenden Landesvorsitzenden der AfD in Nordrhein-Westfalen gewählt wurde, habe angeblich gefordert, die Parlamente auf Bundes- und Landesebene abzuschaffen, da „die derzeitige Politikform Arbeitsscheue begünstige“. Gibt es hierzu einen Beleg?

Behrendt hat sein entsprechendes Buch online gestellt. Mit einem Suchprogramm findet man die Begriffe „Arbeitsscheue“ und „Migration der Falschen“ im dazugehörenden Kontext. Behrendt übernimmt weitgehend die abwertende Sprache des BürgerKonvent-Gründers Meinhard Miegel. Natürlich drücken sich lehrende Professoren wie Jörn Kruse in ihren strukturellen Gegenentwürfen zum jetzigen Parlamentarismus gewählter aus als der Parteikollege Hermann Behrendt. Ein Hochschulprofessor könnte es sich natürlich auch nicht leisten, sich so offen zu äußern wie Behrendt, der im Vorwort seines Buches zur Abschaffung des Parlamentarismus schreibt: „Mein Traum rüttelt an den Prinzipien des Grundgesetzes“. Die Intention ist aber vergleichbar: den Parlamentarismus strukturell unternehmerfreundlicher zu machen.

Haben Mitglieder der AfD aus Ihrer Sicht ein Mehrheitswahlrecht nur punktuell gefordert, also mit Blickrichtung auf ein bestimmtes Ziel oder zählt ein Mehrheitswahlrecht ganz generell zu den Forderungen dieser Partei?

Ich kann mir nicht vorstellen, dass die AfD momentan für ein Mehrheitswahlrecht eintritt, da sie dann ja noch geringere Chancen hätte, ins Parlament einzuziehen. Es ging damals speziell um die Linke, die in den Bundestag einziehen konnte.

Um welchen Ansatz geht es der Partei dann?

Die AfD vertritt aktuell den Ansatz der Direkten Demokratie. Insbesondere will sie Beschlüsse der EU mit nationalen Abstimmungen rückgängig machen. Hierbei steht die Währungs- und Finanzpolitik im Fokus. Es wäre aber auch denkbar, dass die AfD die Europäischen Antidiskriminierungsrichtlinien in der bestehenden Weise abschaffen möchte.

Welche Fakten sprechen denn dafür, dass die AfD möglicherweise die Europäischen Antidiskriminierungsrichtlinien ändern oder gar abschaffen will und welche Gründe könnte das haben?

In der Vereinigten Staaten gab es Anfang der 1990er Jahre heftige Auseinandersetzungen um Diskriminierungsfragen, in deren Verlauf schließlich konservative Politiker die Formel „Political Correctness“ gegen die Antidiskriminierungs-Forderungen strategisch einsetzten. Der Vorwurf der „Political Correctness“ ist seither die beliebteste Waffe gegen Antidiskriminierungspolitik. Im Wahlprogramm der AfD hieß es zunächst: “Wir lehnen einen Gängelung der öffentlichen Meinung unter dem Deckmantel der sogenannten ‘political correctness’ ab.” Verklausuliert heißt es heute:
„Wir setzen uns dafür ein, dass auch unkonventionelle Meinungen im öffentlichen Diskurs ergebnisoffen diskutiert werden, solange die Meinungen nicht gegen die Werte des Grundgesetzes verstoßen.“ (Zur angeblichen Notwendigkeit der Änderung des Grundgesetzes hatte sich allerdings der stellvertretende Sprecher des größten Landesverbandes der AfD, Hermann Behrendt, bereits geäußert).

Gibt es explizit hierzu auch Forderungen von Roland Vaubel, der – wie oben schon erwähnt – als Mitglied im wissenschaftlichen Beirat der AfD sitzt?

Roland Vaubel fordert, dass die Grundrechte-Charta der EU abzulehnen sei, weil diese die bürgerliche Freiheit angreife. In der Grundrechte-Charta ist das Verbot von Diskriminierung festgehalten. Deutlich wird die Ablehnung des Antidiskriminierungsgesetzes auch durch die vielen Positionierungen: Da ist zum einen der euphorische Beifall zu nennen, den Wolfgang Hübner aus Frankfurt a.M. für sein Pamphlet gegen die Minderheitenpolitik für Schwule erhielt (Zitat Hübner vom 31.3.2013: „Kein vernünftiger, aufgeklärter Mensch will Homosexualität diskriminieren. Aber sind die Anliegen der homosexuellen Minderheit, deren Lobby bestens vernetzt ist, wirklich von solcher Wichtigkeit für die Gesamtgesellschaft, wie das in den Medien sich widerspiegelt?“).

Dann sind die arbeiterkinderfeindlichen Aussagen von Vaubel und Adam zur Bildungspolitik zu nennen. Auch in der Geschlechterpolitik positioniert sich die AfD sehr konservativ. Zudem gab es sehr viel Beifall, als die offizielle Facebook-Seite der AfD den Spruch „Klassische Bildung statt Multikulti-Umerziehung“ postete. Henkels Forderung nach Redlining ist an sich schon diskriminierend, hinzukommen die unverhohlenen Sympathien für den Rassisten Sarrazin.

Lesen Sie in Teil 2:
Kritisches Gedankengut zum Schaden unserer Demokratie

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Politik ist kein triviales Geschäft

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Wundern Sie sich gelegentlich, wenn unser Personal in der Politik den Eindruck vermittelt, es zähle auf jedem Gebiet zum ausgewiesenen Expertentum? Keine Frage bleibt unbeantwortet, ganz gleich, welcher politische und gesellschaftliche Bereich auch angesprochen wird. Doch hinter soviel vermeintlichem Wissen stehen unzählige Berater, die geeignete Strategien entwickeln und Politikern tagein und tagaus die in ihrer Sicht wichtigen und richtigen Antworten soufflieren. Strategische Grundsatzarbeit – so lautet die Devise. Dies hat in der Politikwissenschaft, aber auch im politischen Betrieb Hochkonjunktur und betrifft natürlich auch die zurückliegende, weltweite Finanz- und Wirtschaftskrise.

Fragen nach Zukunftsthemen, die angegangen werden müssen, warten auf professionelle Beantwortung. Haben sich in der Vergangenheit politische Konzepte bereits bewährt, sodass sie weiter verfolgt werden können oder müssen Lösungsstrategien ganz neu angedacht werden? Wie sieht es mit den finanziellen Spielräumen aus? Lassen sie sich gegebenenfalls erweitern, um damit gleichzeitig auch den Handlungsspielraum ausweiten zu können? Fragen über Fragen, denen wir uns gemeinsam mit unserem Gesprächspartner Dominic Schwickert widmen. Der Politikwissenschaftler hat zu diesen Themen ein Buch mit dem Titel: “Strategieberatung im Zentrum der Macht: Strategische Planer in Regierungszentralen” geschrieben. Wir haben nachgefragt.

Dominic Schwickert

Dominic Schwickert, (Foto: D.S.)

Dominic Schwickert, in Ihrem Buch geht es um politische Strategieberatung von Regierungschefs. Warum benötigen altgediente Politiker überhaupt so viel Beratung?

Politik ist in einer modernen, wissensbasierten Gesellschaft alles andere als ein triviales Geschäft. Regierungschefs sind daher auf Heerscharen von Fachexperten angewiesen, die ein Problem gleichermaßen in seiner Tiefe und Breite durchdringen können. Diese Experten sammeln und bewerten täglich Informationen, bereiten Themen auf und entwickeln konkrete Handlungskonzepte.

Inhalte sind das eine, es geht aber vor allem auch um Macht?

Genau, in der Politik geht es nicht nur um Inhalte, sondern auch um Macht. Um im politischen Haifischbecken zu überleben und Politik nach eigenen Wertvorstellungen gestalten zu können, brauchen Regierungschefs deshalb stets einen genauen Überblick über Stimmen und Stimmungen: Bin ich mit meiner Position im Parlament und im Kabinett mehrheitsfähig? Wie ist die Gemütslage an der Parteibasis? Was sagen die neusten Umfragen und die Kommentarspalten der Leitmedien? Und was denkt und plant gerade der politische Gegner? Für derartige Fragen braucht ein Regierungschef Kommunikationsprofis in seinem Umfeld, die über ein feines politisches Gespür verfügen. Die Unterscheidung zwischen der Fach- und der Kommunikationsberatung ist aber natürlich nur eine idealtypische. In der politischen Praxis sind die Grenzen hier fließend. Die uneingeschränkte Loyalität zum Regierungschef ist jedoch bei beiden Beratungsformen Grundvoraussetzung.

Ist die Frage der Loyalitäten nicht genau der Knackpunkt in der Politikberatung?

Absolut! Auf dem politischen Beratermarkt tummeln sich so einige Akteure, die sich selbst gern als Politikberater bezeichnen, aber im Grunde letztlich klassisches Lobbying betreiben. Wobei man auch sagen muss: Lobbyismus hat unter demokratietheoretischen Gesichtspunkten durchaus eine Existenzberechtigung. Durch ihn gelangen die legitimen Interessen wichtiger gesellschaftlicher Akteure samt ihrer Fachexpertise in den politischen Prozess. Und schließlich sind Greenpeace, Amnesty International oder der DGB letztlich auch politikberatende Lobbyorganisationen, wenn auch in den Augen vieler “für die gute Sache”.

Wie können solche Beratungen legitim bleiben?

Wichtig ist, dass die Politik bei interessengeleiteter Politikberatung – nichts anderes ist Lobbyismus – zu jeder Zeit Herr des Verfahrens bleibt. Dafür muss Lobbyarbeit als solche transparent sein, das ist entscheidend. Die Hotelsteuer bei der Amtsübernahme der schwarz-gelben Bundesregierung hat es gezeigt: Sobald eine Regierung auch nur in den Verdacht von Klientelpolitik und einseitiger Beeinflussung gerät, bekommt sie ein Problem. Und das ist auch gut so.

Warum haben Sie diese Lobbyismus-Problematik nicht zum Hauptthema Ihres Buches “Strategieberatung im Zentrum der Macht” gemacht?

An der äußerst spannenden Frage nach der Legitimität von Lobbyismus haben sich in den letzten Jahren schon einige Politikwissenschaftler abgearbeitet. Insgesamt hatte ich den Eindruck, dass sich die Debatte zu stark auf die Arbeit von externen Organisationen wie Agenturen, Stiftungen, Unternehmensberatungen und Kanzleien fokussiert.

Dies hat ja auch augenscheinlich ein wenig Überhand genommen.

Sicher: die externe Politikberatungsbrache ist dynamisch und boomt. Und natürlich erregt es die Gemüter, wenn irgendwelche Kreativköpfe aus einer knalligen Werbeagentur oder die hochbezahlten McKinseys und Roland Bergers im Nadelstreifen in die heiligen Regierungshallen einmarschieren. Das hat etwas Glamouröses und gleichzeitig gerade im Hinblick auf Steuergelder etwas Unanständiges. Und obwohl diese Beratungsbeispiele viel Aufmerksamkeit erzeugen, spiegeln sie meines Erachtens nur einen sehr kleinen Teil des deutschen Regierungsalltags wider. So haben es in Deutschland viele externe Politikberater immer noch schwer, im Zentrum der politischen Macht Fuß zu fassen. Grund dafür ist insbesondere der Faktor Vertrauen im Dunstkreis der Regierungschefs. Interne Beratung besitzt deshalb einen großen Loyalitätsvorschuss gegenüber externer Beratung, weshalb letztere immer nur ergänzend aber niemals ersetzend sein kann.

Was hat Sie angetrieben, sich eingehender mit der “Beratung von innen” zu befassen?

Der Einfluss dieser öffentlichkeitsfernen und geräuschlosen Form der Politikberatung auf die Entscheidungen einer Regierung ist kaum zu überschätzen. Deswegen wollte ich mich tiefergehend mit dem Innenleben von Regierungsorganisationen auseinandersetzen. Ich habe mich gefragt: Wie gelangen innovative Ideen und zukunftsweisende Konzepte zu den politischen Entscheidungsträgern? Wie laufen die regierungsinternen Beratungsprozesse konkret ab? Wer sind die regierungsinternen Strategieberater der Regierungschefs und wie arbeiten sie? Mein erklärtes Ziel war es zunächst, die regierungsinternen Strukturen und Abläufe besser zu verstehen. Darauf aufbauend habe ich mich der Frage gewidmet, wie die Strategieberatung der Regierungschefs optimiert werden kann.

Was genau bedeutet dann “Strategieberatung der Regierungschefs”?

In jeder Regierung gibt es – meist in den Grundsatz- und Planungseinheiten der Regierungszentralen – Mitarbeiter, die den Regierungschef in grundsätzlichen und vor allem langfristigen Fragen beraten. Regierungschefs bewegen sich hauptsächlich auf dem sehr taktisch geprägten Parkett der Tagespolitik. Sie haben im politischen Alltagsgeschäft meist eine so hohe Termindichte zu bewältigen, dass ihr Zeitbudget für strategische Fragen äußerst begrenzt bleibt. Joseph Schumpeter hat Regierungschefs einmal mit Reitern verglichen, die einen Großteil ihrer Zeit darauf verwenden, sich selbst im Sattel zu halten, so dass sie keinen Gedanken daran verschwenden können, wohin die Reise gehen soll. Das ist sicherlich überzeichnet. Aber richtig ist, dass ein Regierungschef auf konzeptionelle und strategische Köpfe innerhalb seines Apparats angewiesen ist, die die Themen von morgen und übermorgen im Blick haben und damit im Idealfall Antworten auf Fragen bereit halten, die von der Politik heute noch gar nicht gestellt werden.

Strategisches Regieren könnte man dann also als ein “Vordenken” in der Politik bezeichnen?

Ja, so könnte man es sagen. Regieren bedeutet nicht nur die Amtsgeschäfte zu verwalten oder Krisen zu managen. Regieren heißt auch, eine Vision davon zu entwickeln, wo das Land in 10, 15 oder 20 Jahren stehen soll. Dafür braucht man übergeordnete Ziele, Leitprinzipien und vor allem innovative Ideen. Nichts anderes ist Strategie. Vielleicht ist es an dieser Stelle wichtig, den Strategiebegriff noch etwas enger zu fassen als er häufig im politischen Alltagsgebrauch verwendet wird. Im Wahlkampfkontext beispielsweise bezieht sich Strategie häufig ausschließlich auf machtpolitische Aspekte wie den Wahlsieg oder die Verbuchung politischer Erfolge. Das ist aber nur ein verkürztes Verständnis von politischer Strategie. In einem umfassenderen Verständnis geht es darum, langfristige Gestaltungs- und Machtziele gleichermaßen zu verfolgen. Letztlich liegt der politischen Strategie das Ideal einer aktiven und vor allem zukunftsorientierten Politikgestaltung zugrunde.

Viele politische Beobachter sprechen von einer zunehmenden Ohnmacht der Politik. Was halten Sie von dieser Einschätzung?

Angesichts von Globalisierung und Europäisierung kann man diese Einschätzung sicherlich teilen, da durch diese Entwicklungen wesentliche Entscheidungen nicht mehr nur in Berlin, München oder Düsseldorf getroffen werden. Die bisweilen schrillen Abgesänge auf die Gestaltungskraft von Politik kann ich aber nicht nachvollziehen.

Warum nicht?

Ich bin der festen Überzeugung, dass den Regierungen in Bund und Ländern nach wie vor genügend strategischer Handlungsspielraum verbleibt, der aber auch genutzt werden will. So leben wie in einer Netzwerkgesellschaft, in der Wissensressourcen immer dezentraler verteilt sind. Das privilegierte Herrschaftswissen gibt es immer weniger und deshalb muss sich die Politik völlig neu ausrichten. Zur Politik im 21. Jahrhundert gehören die stärkere interdisziplinäre und sektorübergreifende Ausrichtung unseres Denkens und Handelns sowie vor allem die Beteiligung der Zivilgesellschaft. So bleibt die Politik handlungsfähig. Zudem lassen sich die großen Zukunftsthemen wie Bildung, Energie, Migration, Demographie und Strukturwandel immer weniger in das enge Korsett von klassischen Ressorts pressen. So wird die Liste ressortübergreifender Herausforderungen immer größer. Regieren wird dadurch anspruchsvoller, aber noch lange nicht ohnmächtig. Im Gegenteil: Wir treffen heute die relevanten Entscheidungen, wie unsere Welt im Jahre 2020 oder 2030 aussehen wird.

Können Sie dazu konkrete Beispiele benennen?

Denken Sie nur an die aktuelle Debatte um die Laufzeitverlängerung der Atomkraftwerke, die Anwerbung ausländischer Fachkräfte oder die Förderung der Elektromobilität und Nanotechnologie. Aber auch die Sicherung der sozialen Sicherungssysteme, der Schuldenabbau oder der Umbau der Bundeswehr sind zukunftsträchtige Themen, die eher heute als morgen anzugehen sind. Aufgrund von Langfristwirkungen und Pfadabhängigkeiten stellen wir mit den Entscheidungen von heute die wesentlichen Weichen für das Leben von morgen. Mutige Beispiele für erfolgreiche Strukturreformen der letzten Jahre sind vielleicht die Rente mit 67 oder der Ausbau der Kinderkrippen, die seinerzeit Franz Müntefering und Ursula von der Leyen gegen massiven Widerstand aus den eigenen Reihen durchgesetzt haben. Oder die Agenda 2010 von Gerhard Schröder, die trotz handwerklicher Fehler und massiver Kommunikationsdefizite jetzt in der Wirtschaftskrise erst ihre Wirkung voll entfaltet hat und letztendlich ein großer Erfolg war. Politische Herausforderungen früh genug erkennen und auch ohne unmittelbaren Leidensdruck den Wandel einläuten – das ist der Grundstein für eine zukunftsfähige Regierungspolitik. Leider kommt das in der politischen Praxis nur selten vor.

Gut, aber werden manche “mutigen” Entscheidungen, die Politiker in Hinblick auf die Zukunft treffen, nicht oftmals viel zu früh beurteilt?

Das stimmt, viele Beschlüsse werden allzu schnell mal zu historischen Entscheidungen stilisiert. Was die “Krippen” und die “Rente mit 67″ anbelangt, lehnt man sich aber – glaube ich – nicht zu weit aus dem Fenster, wenn man sagt, dass hier etwas Zukunftsweisendes auf den Weg gebracht wurde. In der Familien- und Rentenpolitik besteht angesichts des gesellschaftlichen Wandels einfach grundlegender Reform- und Anpassungsdruck. Auch wenn sich nun die SPD wieder von ihrem Beschluss zur Rente mit 67 oder ihrer Agenda-Politik distanziert, keine Partei kann die demographischen Realitäten dauerhaft verleugnen. Ich bin schon der Meinung, dass die Agenda 2010 in gewisser Weise Deutschland ein Stück weit zukunftsfester gemacht hat.

Hat die Agenda 2010 aber nicht auch bewusst einen Niedriglohnsektor installiert, der, wie beispielsweise im damaligen Falle Schlecker, Missbrauchsfälle in der Zeitarbeit überhaupt erst ermöglicht?

Fälle wie Schlecker dürfen sich nicht wiederholen. Das gezielte “Outsourcen” von vormals festangestellten Mitarbeitern an externe Dienstleister, die die Arbeitnehmer im selben Unternehmen für deutlich weniger Gehalt weiterbeschäftigen, ist ein riesiger Skandal. Aber damit sollte man nicht die ganze Zeitarbeit verurteilen, die gerade in der Wirtschaftskrise ein wichtiges arbeitsmarktpolitisches Instrument dargestellt hat. So hat die Zeitarbeit zusammen mit Arbeitszeitkonten und Kurzarbeitergeld dafür gesorgt, dass die Arbeitslosenquote in Deutschland im Gegensatz beispielsweise zu Spanien in den Krisenjahren 2008 und 2009 relativ stabil blieb. Und wenn man sich die Zahlen genauer anschaut, sieht man, dass die Mehrheit der Zeitarbeitnehmer aus der Arbeitslosigkeit kommen. So widersprüchlich es scheint: Die Zeitarbeit leistet letztlich damit auch einen wesentlichen Beitrag zum Anstieg der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung in Deutschland. Gerade für Langzeitarbeitslose kann sie ein erfolgversprechendes Sprungbrett in eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung sein, wie eine Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung kürzlich gezeigt hat.

Wenn wir den Fokus noch einmal gezielt auf strategische Beratungen setzen: Wie beurteilen Sie den Einfluss der internen Strategieberater auf die Regierungschefs?

Ich habe in meiner Untersuchung verschiedene Faktoren identifiziert, von denen die Macht der Strategieberater auf den Regierungschef abhängt. Dazu gehört beispielsweise auf systemischer Ebene die Koalitionskonstellation, ob es sich also um eine Einparteienregierung oder eine Koalitionsregierung, eine Wunschkoalition oder eine reine Zweckgemeinschaft handelt. Daneben ist die Anzahl der Vetospieler, die Haushaltslage, die Stimmung im Land und die Amtsdauer einer Regierung eine entscheidende Größe. Da vielerorts noch immer Informationspyramiden und “Dienstweg”-Mentalitäten die Ministerialbürokratie beherrschen, ist auf organisationeller Ebene die Aufhängung der Strategieeinheiten nicht unbedeutend. Der Einfluss der Strategieberater auf das Regierungsgeschäft ist deshalb auch davon abhängig, ob sie in die Abteilungsstruktur eingebunden sind oder aber als Stabstelle direkt dem Regierungschef zuarbeiten.

Inwieweit spielt der jeweilige Führungsstil eines Regierungschefs denn in diese Aspekte mit hinein?

Der individuelle Führungsstil des Regierungschefs zählt hierbei zu den wichtigsten Faktoren. Gerhard Schröder hatte beispielsweise – Agenda 2010 hin oder her – im Ganzen einen sehr situativen Regierungsstil. Er regierte stark “aus dem Bauch heraus”, was eine professionelle Strategieentwicklung gerade in seiner ersten Amtszeit sehr schwierig machte. Auch wenn Strategien selten von Regierungschefs entwickelt und ausgearbeitet werden, entscheiden sie darüber und verantworten sie. Strategiefragen sind somit letztlich immer Chefsache!

Sie haben die Arbeit der Strategieberater in zehn verschiedenen Staatskanzleien miteinander verglichen. Welches Bundesland hat besonders erfolgreich abgeschnitten?

Ich habe zwar kein Ranking der Bundesländer vorgenommen, aber man kann sagen, dass bestimmte Länder sehr strategieorientiert arbeiten: Als die üblichen Verdächtigen sind hier die traditionell finanzstarken Länder Bayern, Baden-Württemberg und Hessen zu nennen, die schlicht die Kapazitäten für eine ordentliche Strategieentwicklung und vor allem auch -umsetzung aufbringen. Hier wurden beispielsweise in den vergangenen Jahren sehr erfolgreiche Nachhaltigkeitsstrategien aufgesetzt. Aber auch Hamburg im Norden und Sachsen im Osten nehmen unter strategischen Gesichtspunkten sicherlich eine Vorreiterrolle ein.

Womit lässt sich das begründen?

Die Gründe sind ganz unterschiedlicher Art: Die Hansestadt war mit ihrem ressortübergreifenden Leitbildprozess “Metropole Hamburg – Wachsende Stadt” sehr erfolgreich darin, die Identifikation der Bürger mit Hamburg zu stärken sowie nachhaltige ökonomische Entwicklungsimpulse zu setzen. Auch die Demographie-Politik der Sächsischen Staatsregierung setzt in strategischer Hinsicht Maßstäbe. Hintergrund ist hier, dass der Freistaat schon heute im Vergleich zu anderen Bundesländern in besonderem Maße von Geburtenmangel, Überalterung und Abwanderung als Folgen des demographischen Wandels betroffen ist. In all diesen Ländern sind auch die Strategieberater entsprechend einflussreich.

Einflussreich und erfolgreich zugleich?

Leider nein, denn nicht überall wo Grundsatz, Planung und Strategie drauf steht, wird auch Grundsatz-, Planungs- und Strategiearbeit geleistet. Und so lässt sich auch aus den erhobenen empirischen Daten eine klare Schlussfolgerung treffen: Strategieakteure in Regierungszentralen sind zu wenig mit originärer Strategiearbeit betraut.

Könne Sie uns einmal den Arbeitsalltag der Strategieberater beschreiben?

Die gefühlte oder tatsächliche Allzuständigkeit ist bei den Grundsatz- und Planungseinheiten durchaus ein Problem. Oftmals geht es in ihrem Arbeitsalltag um die Abarbeitung rein operativer Aufgaben, die sich lediglich in ihrem politikfeldübergreifenden Charakter von der Zuarbeit durch andere Ressorts unterscheidet. Dazu kommt angesichts von Personalknappheit ein erhöhtes Arbeitsaufkommen. Eine sorgfältige und sehr zeitintensive Strategieentwicklung ist unter diesen Umständen nur sehr eingeschränkt möglich. In einigen Regierungszentralen ist die Strategiearbeit der zuständigen Mitarbeiter sogar mehr Kür als Pflicht.

Was genau bedeutet das?

Es bedeutet, dass zunächst operativ abgearbeitet wird und – falls vor Feierabend noch irgendwie Zeit übrig ist – wird sich mit strategischen Fragen beschäftigt. Das ist suboptimal. Doch nur mit Ressourcenengpässen zu argumentieren, wäre zu kurz gegriffen. Schließlich werden die Presse- und Öffentlichabteilungen finanziell und personell immer mehr aufgerüstet. Strategiedefizite gehen somit letztlich immer auch auf mangelnden politischen Willen der politischen Entscheidungsträger zurück.

Was muss Ihrer Meinung nach getan werden, damit Regierungspolitik strategischer wird?

Regierungsinterne Strategieberater sollten zunächst mit deutlich mehr Ressourcen ausgestattet werden. Sie brauchen einfach mehr personelle und finanzielle Spielräume, aber auch Freiräume, über Grundlegendes nachzudenken. Strategiefähigkeit hat aber auch sehr viel mit Innovation und Kreativität zu tun. Das fängt bei der Personalpolitik an. Spricht man mit Beamten aus der Personalabteilung gewinnt man manchmal den Eindruck, dass nicht wenige die Ministerialbürokratie im Wettbewerb um die klügsten Köpfe für fürchterlich attraktiv halten. Das halte ich für eine krasse Fehleinschätzung. Um an die Besten der Besten zu kommen, sollte also hier investiert werden.

Welche weiteren Aspekte müssten in Ihrer Sicht einfließen?

Ein weiterer wichtiger Aspekt bezieht sich auf die Organisationskultur, die streng formalisiert alles andere als strategieförderlich ist. Gefragt sind vielmehr netzwerkartige Kommunikationsmuster, die innerhalb der Regierung einen gleichberechtigten und ungezwungenen Austausch von Wissen und Ideen möglich macht. Einen wichtigen Beitrag leisten daneben aber auch gesellschaftliche Debatten über die Frage, wie wir in Zukunft leben wollen und an welchen Stellschrauben wir dafür heute schon drehen müssen. Sie üben Druck auf die Regierung aus, sich ohne akuten Leidensdruck über den gesamtpolitischen Überbau und eine integrierte Gesamtstrategie Gedanken zu machen.

Damit sprechen Sie im Grunde eine strategische Neuorientierung in der Zukunft an?

Genau! Die Zeit ist gerade jetzt günstig, denn wir sind bei der größten Finanz- und Wirtschaftskrise der vergangenen Jahrzehnte dank des hervorragenden Krisenmanagements der Bundesregierung noch glimpflich davon gekommen. Und jetzt, wo die Verwerfungen der Wirtschaftskrise zumindest dem Anschein nach ihren Höhepunkt überschritten haben und die Wirtschaftsinstitute sich wieder mit ihren Konjunkturprognosen überbieten, kann man etwas klarer sehen. Es wäre die ideale Chance für eine wirkliche strategische Neuorientierung.

Wenn wir über Erneuerung sprechen: Müsste es in der Zukunft nicht auch erforderlich werden, dass Politiker für Entscheidungen haften? Es fehlt ein wenig die Konsequenz, die fällig wird, wenn aus massiven Fehlentscheidungen große Schäden entstehen?

Das ist ein spannender Gedanke. Ich wüsste zwar spontan nicht, wie eine solche Haftung konkret juristisch aussehen könnte. Die Zeitverzögerung und die komplexen Wirkungszusammenhänge machen das nicht so leicht. Aber die Grundidee, bei politischen Entscheidungen das Gemeinlastprinzip stärker durch das Verursacherprinzip zu ersetzen und Politiker haftbar zu machen, hat irgendwie Charme. Es wäre auf jeden Fall ein weiterer Anreiz für Politiker, sich an langfristigeren Maßstäben zu orientieren.

Strategieberatung im Zentrum der Macht

Strategieberatung im Zentrum der Macht (Foto. SPREEZ)

Strategieberatung im Zentrum der Macht: Strategische Planer in deutschen Regierungszentralen Autor: Dominic Schwickert

VS Verlag; Auflage 1 erschienen am 14. Oktober 2010 Sprache: Deutsch

ISBN-10: 3531174304 ISBN-13: 978-3531174303

Preis: 34,95 Euro

Der Autor: Dominic Schwickert studierte Politikwissenschaft, Öffentliches Recht und Wirtschaftspolitik an den Unis Münster und Santa Barbara. Er arbeitet für das Beratungsunternehmen IFOK und ist Mitglied im Wissenschaftlichen Beirat des Progressiven Zentrums und Associate bei der Stiftung Neue Verantwortung in Berlin. Schwickert lehrt zudem am Institut für Politikwissenschaft der Universität Münster und ist Initiator des mehrfach preisgekrönten Journals 360°. Dort war er von 2005-2008 auch Vorstand und Chefredakteur. Noch heute begleitet er das Projekt mit großem Interesse, jedoch berufsbedingt aus der Ferne. Ein großer Erfolg war in den letzten Monaten die Auszeichnung des Projekts zum “Ausgewählten Ort im Land-der-Ideen”. (siehe auch HIER). Am 14. Oktober 2010 erschien im VS Verlag. Wiesbaden 2010 Dominic Schwickerts Publikation: “Strategieberatung im Zentrum der Macht. Strategische Planer in deutschen Regierungszentralen”.

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Bankenkrise – Ist nur der totale Crash die Lösung?

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Die Ökonomen Marc Friedrich und Matthias Weik halten den "Crash" für die Lösung (Foto: Friedrich & Weik)

Die Ökonomen Marc Friedrich und Matthias Weik halten den “Crash” für die Lösung
(Foto: Friedrich & Weik)

Die Ökonomen Marc Friedrich und Matthias Weik, die mit ihrer spektakulären Publikation “Der größte Raubzug der Geschichte” viel Aufsehen erregten, legen nach. Im Mai 2014 erscheint eine weitere Publikation zur bisher nicht gelösten Banken-Euro-Schuldenkrise mit dem Titel “Der Crash ist die Lösung. Die Autoren entlarven, übersetzen und verdeutlichen den Status Quo ist. Darüber hinaus aber wollen sie auch konstruktiv gestalten und Alternativen sowie Lösungsmöglichkeiten aufzeigen – sowohl für das eigene Vermögen als auch für das marode System. Wir haben nachgefragt.

Es ist still geworden um die vermeintliche Euro-Krise. Hat sie sich in Luft aufgelöst oder wurde von den politischen Akteuren etwas inszeniert, was sich von Bürgern bzw. Außenstehenden nicht nachvollziehen lässt?

Leider nicht! Die Krise wurde lediglich mit den historisch niedrigen Zinsen und der dadurch entstanden Geldflut in die Zukunft verschoben. Erst vor kurzen hat die EZB beschlossen, die Zinsen weiterhin im Keller zu belassen zu unser aller Nachteil. Dies beweist, dass die Krise noch lange nicht vorbei ist. Dafür sehen die volkswirtschaftlichen Eckdaten sowie die Arbeitslosenzahlen in Italien, Griechenland, Frankreich, Spanien, Portugal etc. zu verheerend aus. Zudem bastelt unser Finanzminister ja schon an einem dritten Hilfspaket für Griechenland. Die Krise wird uns schneller wieder begegnen als uns lieb ist.

Die Bürger scheinen mit der Krisenintervention der Kanzlerin zufrieden zu sein. Sonst wäre Angela Merkel nicht wiedergewählt worden?

Na ja, was waren den die Alternativen? Die Wiederwahl beruht auf dem Mangel an Alternativen. Wir hatten die Wahl zwischen Pest und Cholera.

Ein weiterer Punkt der Wiederwahl war die pure Bequemlichkeit. Frau Merkel hat viel von Kohl gelernt. Aussitzen, durchlavieren, alle Türchen offen halten und nur nichts hektisch entscheiden. Phlegma durch und durch. Davon haben sich wohl viele Bürger einlullen lassen. Nun haben wir eine große Koalition, die im Notfall mit ihrer absoluten Mehrheit von über 75 Prozent sogar das Grundgesetz ändern könnte. Wohl ist mir bei dem Gedanken an diese Regierung nicht. Aber wie heißt es so schön: Jedes Volk bekommt die Regierung die es verdient. Na, dann gute Nacht.

Viel Bürger grübeln noch immer, was der tatsächliche Auslöser der Krise war. Haben wir es nicht in Wahrheit mit einer Bankenkrise zu tun, für die nun ganz Europa – jedes Land auf seine Weise – herhalten muss?

Das Grundproblem ist unser Geldsystem – was nun nachweislich gescheitert ist und nur unter enormen Anstrengungen am Leben erhalten werden kann. Seit 2008 haben wir eine Dauerkrise und die Politik hat keine Lösung parat. Wir müssen auch viel tiefer gehen. Wir haben nicht nur eine Banken-, Euro-, Finanz-, Vertrauens- und Griechenlandkrise, nein wir haben eine Systemkrise. Eine menschliche Krise. Zuviel ist auf der Wohlstandsleiter nach oben verloren gegangen, z.B. Werte, Anstand, Moral etc. Das rächt sich nun bitter. Wir alle werden für die Krise bezahlen und bluten müssen.

Sie sagen: “Wir alle werden für die Krise bezahlen und bluten müssen.” Wäre es nicht besser, wenn allein die Verursacher zahlen und bluten? Und welches Szenario müssen wir uns unter “zahlen und bluten” überhaupt vorstellen?

Wir alle werden ja schon durch die Niedrigzinsphasen der Notenbanken schleichend enteignet, denn die Verzinsung unserer Guthaben liegt weit unter der offiziellen Teuerungsrate. Des Weiteren wurden schon verschiedene Steuern wie etwa die Grunderwerbssteuer empfindlich angehoben. In Berlin z.B. auf sechs Prozent.

Zudem begrüßte die deutsche Bundesbank vor kurzem den Vorschlag des IWF, die Bürger mit einer einmaligen Zwangsabgabe an der Krise zu beteiligen. Im Raum stehen 10 – 30 Prozent auf alle Vermögenswerte. In Zypern wurden die Bürger schon enteignet. Dies ist im Übrigen nun europäisches Gesetz und kann jederzeit angewendet werden. Ich könnte leider etliche weitere Beispiele nennen.

Mit anderen Worten gilt bei der Banken-Schuldenkrise das Verursacherprinzip nicht, während der normale Bürger sich niemals derart aus der persönlichen Verantwortung stehen könnte?

Ja, das ist richtig. Das Verursacherprinzip gibt es nicht. Die Finanzindustrie hat es geschafft die Last und Schuld auf die Allgemeinheit abzuwälzen. Perfide aber genial. Dadurch, dass die Banken und Versicherungen “systemrelevant” sind, werden sie andauernd gerettet. Egal was sie machen. Seit 2008 hat die Finanzbranche nichts geändert oder gelernt. Wobei: Ich muss mich korrigieren. Sie hat gelernt, dass man den Steuersäckel beliebig plündern kann, keine Konsequenzen befürchten muss und das Geld zu Spekulationszwecken über die Notenbanken dann auch noch fast kostenlos zur Verfügung gestellt wird. Durch das Bail-in Gesetz, welches erstmals in Zypern angewendet wurde, müssen die Bankkunden im Notfall für die Spekulation ihrer Bank haften. Die Krisenverursacher sind die Krisengewinner. Die Banken schreiben wieder Rekordgewinne und schütten mehr Boni aus, als vor der Krise. Verkehrte Welt.
Leider gibt es kein Haftungsprinzip! Die mangelnde Haftung beruht auf der engen Verbindung zwischen Politik und Wirtschaft. Zwischen beiden ist eine lukrative Drehtür installiert und es werden Posten und Ämter ausgetauscht und zugeschanzt. Dadurch gibt es keine Änderung und keine Haftung. Man sägt nicht auf dem Ast auf dem man sitzt oder mal in Zukunft sitzen möchte.

Worin liegen denn Ihrer Meinung nach die Gründe, dass an einem derart windigen System festgehalten wird und nicht ein anderes, solides Geldsystem zum Zuge kommt?

Ganz einfach: Weil diejenigen die entscheiden davon profitieren. Es geht um Macht und Geld.

Ist es nicht doch komplexer? Es entscheiden Volksvertreter, das Verfassungsgericht hatte bisher nur wenige Einwände gegen entsprechende Klagen und die Handhabung der Bundesregierung erfährt gesellschaftlich zumindest eine Duldung, wenn nicht sogar breite Akzeptanz.

Selbstverständlich. Aber in der Quintessenz ist das, um was es geht, pure Macht, Gier und Geld. Alles andere sind mehr oder weniger nützliche Vehikel. Das Verfassungsgericht macht es sich recht einfach und verschiebt die Problematik ein paar Kilometer über die Grenze zum europäischen Gerichtshof. Fakt ist, dass die EZB Aufkaufs-Programme gegen geltende deutsche Gesetze verstoßen. Daran gibt es nichts zu rütteln. Mich würde es doch sehr wundern wenn die EU Gerichte dies nicht auch so sehen.
Ich denke die meisten stimmen zu weil sie sich nicht dafür interessieren oder auch Sorge haben, was passieren könnte wenn der Euro kippt. Das sind Grundängste, die in jedem Menschen schlummern. Man hofft darauf, dass man sich so durch die Krise durchschlawinern kann – jedoch ist dies langfristig nicht möglich.

In Ihrer früheren Publikation “Der größte Raubzug der Geschichte“, die Sie ebenfalls zusammen mit Matthias Weik veröffentlichten, haben Sie sich bereits weitgehend mit den Problematiken der Dauerkrise befasst – Forderungen nach einem ganz neuen Geldsystem inklusive. Doch wie könnte das aussehen und auf welche Weise ließe sich so ein gewaltiges Projekt überhaupt umsetzen?

An dieser Stelle möchte ich unserer Bundeskanzlerin ganz deutlich widersprechen. Es gibt immer Alternativen. Nichts ist alternativlos – bis auf den Tod. In unserem neuen Buch “Der Crash ist die Lösung”, das am 16. Mai 2014 erscheinen wird, werden wir Alternativen und Lösungen aufzeigen. Der Wandel hin zu einem neuen Geldsystem wird mit enormen Veränderungen und immensen Kollateralschäden vonstattengehen.

Wenn das tatsächlich so ist, wird sich nicht nur die Merkel-Regierung auf keine Änderung einlassen sondern gar keine Regierung. Welchen Impuls sollte es also geben, damit es zu einer Änderung kommt?

Der Crash ist die Lösung! Leider ist es so, dass die Menschheit entweder aus der Vergangenheit nicht lernt oder schnell wieder vergisst. Wir haben momentan noch die Möglichkeit, freiwillig den notwendigen Wandel herbeizuführen und ein neues System zu implementieren. Oder wir werden durch ein katastrophales Ereignis dazu gezwungen, einhergehend mit enormen Kollateralschäden und Wohlstandsverlusten. Leider ist es so, dass wir Menschen erst aus unserer Bequemlichkeit herausfinden, wenn der Leidensdruck und der Schmerz groß genug sind.

Und welche Alternativen gibt es? Sie sagten, es gebe immer welche, bis auf den Tod.

Wir brauchen ein neues Banking, bei dem wieder der Mensch und die Allgemeinheit im Mittelpunkt stehen und nicht die Gier und der Profit. Wir brauchen ein neues Geldsystem, das sich nicht verselbständigen kann oder von einer kleinen Minderheit exzessiv benutzt wird zum Nachteil der restlichen 95 Prozent.

Wir sollten auch aus der Vergangenheit lernen. Währungsunionen und ungedeckte Papiergeldsysteme sind ausnahmslos gescheitert. In und nach jeder Krise haben sich die Menschen immer wieder auf das wahre Geld zurückbesonnen: Gold und Silber. Zu diskutieren wäre auch das Vollgeldsystem, ein Goldstandard etc. Das Trennbankensystem muss wieder installiert und eine Haftung für alle Banker, Politiker und Manager eingeführt werden. So wie das bei jedem Unternehmer und jeder Privatperson ganz selbstverständlich der Fall ist. Dann wäre der maßlosen Spekulation und Verschwendung von Steuergeldern ein Ende gesetzt. Auch im römischen Reich mussten die Entscheidungsträger mit Haus und Hof haften.

Welche Hoffnungen für die Zukunft haben Sie?

Dass wir spannende Zeiten erleben. Wir haben die einmalige Möglichkeit und die einmalige Chance in unserer Lebenszeit ein gerechteres und menschlicheres Finanz- und Wirtschaftssystem zu implementieren. Wir hoffen von Herzen, dass wir den Weg freiwillig einschlagen, ohne allzu große Schäden zu erleiden und dass wir endlich aus der Vergangenheit lernen.

(Cover: Eichborn Verlag)

(Cover: Eichborn Verlag)


Der Crash ist die Lösung:

Warum der finale Kollaps kommt und wie Sie Ihr Vermögen retten

Gebundene Ausgabe: 368 Seiten
Verlag: Eichborn Verlag; Auflage: Aufl. 2014 (16. Mai 2014)

Sprache: Deutsch

ISBN-10: 3847905546
ISBN-13: 978-3847905547

Euro: 19,99
+++Erscheinungstermin: Mai 2014+++

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Scheut die Bundesregierung den Kampf gegen Wirtschaftsspionage?

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Die defensive Haltung der Bundesregierung in Hinblick auf die NSA-Affäre und der damit einhergehenden drastischen Ausweitung von Wirtschaftsspionage ist praktisch nicht nachvollziehbar. Abgesehen von dem massiven Misstrauen, dass seit der NSA-Affäre schwelt, werden die aus Wirtschaftsspionage resultierenden Schäden auf jährlich rund 50 Milliarden Euro geschätzt. Im Gespräch mit Prof. Dr. Heinz-Michael Winkels. Der Experte lehrt an der Fachhochschule Dortmund Datenverarbeitung und Logistik. Er war langjährig international auf diesem Gebiet als Berater tätig – insbesondere auch für die Logistik-Arbeitsgruppe der Weizsäcker-Kommission “Gemeinsame Sicherheit und Zukunft der Bundeswehr”.

Prof. Dr. Heinz-Michael Winkels (Foto: FH-Dortmund)

Prof. Dr. Heinz-Michael Winkels (Foto: FH-Dortmund)

Herr Prof. Winkels, kommt in Hinblick auf den NSA-Skandal nicht die Problematik der Wirtschaftsspionage viel zu kurz?

Zunächst muss man leider feststellen, dass sich die Strategie der Bundeskanzlerin, alles auszusitzen, mal wieder bestens bewährt hat. Deutschland hat die nächste Vertuschungsaffäre, ein überfälliges Bauernopfer musste gehen und aus der NSA-Affäre ist weitestgehend bis auf ein wenig Nachplätschern die Luft entwichen.

Von der deutschen Öffentlichkeit größtenteils ignoriert bleibt jetzt einzig zu hoffen, dass die Strafanzeige der Bürgerrechtler um den Chaos Computer Club noch eine Reaktion bringt, aber nach allem, was deutsche Gerichte in jüngster Vergangenheit gezeigt haben, kann man auch da nicht viel Hoffnung haben.

Das Ausspähen deutscher Unternehmen im ganz großen Stil lässt sich doch nicht einfach ad acta legen?

Doch, derzeit jedenfalls ist die Luft raus aus dem Thema der Wirtschaftsspionage, also dem Ausspähen deutscher Unternehmen durch ausländische Geheimdienste zum Wohle derer Wirtschaft und derer Unternehmen – im Gegensatz zur Industrie- oder Konkurrenzspionage. Das Abhören des oder besser gesagt der Kanzler-Handys, Altkanzler Schröder wurde ja auch abgehört, hat die deutsche Volksseele – anders als bei der Verletzung der eigenen Grundrechte – zwar sehr erregt, aber bei der Wirtschaftsspionage geht es noch um einiges mehr, um die Zukunftsfähigkeit unseres Landes und um die Sicherung unseres Wohlstands.

Was genau bedeutet “es geht um einiges mehr”?

Das Thema ist seit je her ein zentrales für das Auf und Ab von Kulturen. In jüngerer Vergangenheit mussten 2004 die Abhörvorrichtungen des ECHELON Projektes der USA in Bad Aibling auf Druck der EU wegen des Verdachtes auf Wirtschaftsspionage geschlossen werden. Seit Juni des letzten Jahres wissen wir alle, dass die USA im gleichen Augenblick damit begonnen haben, etwas viel Effizienteres aufzubauen, was bis dahin nur Gegenstand von Science Fiction und schlimmsten Alpträumen war.

Die Wirtschaftsspionage wurde während der bisherigen NSA-Affäre unverständlicherweise immer nur sporadisch und am Rande erwähnt. Friedensnobelpreisträger Obama hat ja auch immer wieder darauf hingewiesen, dass die gesamte Massenausspähung einzig und allein wegen der Terrorbekämpfung stattfinden würde und das Ausspionieren der Wirtschaft befreundeter Staaten wiederholt dementiert. Am 10. Dezember 2013 berichtete das Nachrichtenmagazin Frontal 21 im ZDF über einen Daten-Einbruch bei dem Essener Ferrostaal-Konzern und bot Einblicke in sehr interessante Details. Dass Wirtschaftsspionage absolut ein Thema der USA sei, hat dann auch Edward Snowdon in seinem NDR-Interview am 16. Januar 2014 bestätigt.

Es geht im Wesentlichen um ökonomische und militärische Vorteile?

So sieht es aus. Diesbezüglich berichtete beispielsweise der Tagesspiegel vom 17. Januar 2014 auf der Grundlage eines als geheim qualifizierten Papiers, das auf der Enthüllungsplattform Cryptome veröffentlicht wurde. Dort steht als Ziel der Wirtschaftsspionage der USA die Informationsgewinnung zur Verhinderung technologischer Überraschungen:

“Die Mission konzentriert sich demnach auf kritische Technologien, die zu militärstrategischer, politischer oder ökonomischer Überlegenheit führen. Aufgeführt sind unter anderem Laser-, Computer- und Informationstechnologie sowie Waffen-, Luftfahrt-, Nano- und Tarntechnologie. Die NSA sieht dabei als Herkunftsländer solcher neu entstehenden technologischen Bedrohungen ausdrücklich Russland, China, Indien, Japan, Deutschland, Frankreich, Korea, Israel, Singapur und Schweden.”

Nun spionieren ja nicht nur die Vereinigten Staaten von Amerika…

Das ist richtig. Bisher wurde im Zusammenhang mit Wirtschaftsspionage zumeist nur die USA erwähnt. Fairerweise muss man aber auch anmerken, dass das bei Weitem kein Privileg der Amerikaner ist, vielmehr weiß man – auch das seit mehr als mindestens zwanzig (!) Jahren aus dem Enthüllungsbuch “Wirtschaftsspionage” des damaligen FAZ-Redakteurs U. Ulfkotte, dass sich zu diesem Zweck ganz besonders auch andere befreundete Staaten in der Bundesrepublik tummeln: neben den Briten insbesondere der französische Auslandsgeheimdienst Direction Générale de la Sécurité Extérieure (DGSE), die Israelis, Japan und dann selbstverständlich die üblichen Verdächtigen, vornehmlich: China, Rußland und Nordkorea. Um ein Wort des Menschenfreundes und ehemaligen Bundespräsidenten Johannes Rau mal sarkastisch in den Mund zu nehmen: “Wir sind von Freunden nur so umzingelt”.

Wie können diesbezügliche Schäden für die deutsche Wirtschaft aussehen und mit welchen Konsequenzen muss gerechnet werden?

Aus dem Innenministerium um den damaligen Minister Friedrich stammt eine Schätzung von jährlich(!) 50 Milliarden Euro Schaden (Münchener Abendzeitung vom 28.August 2013), 1998 waren das noch geschätzte 20 Milliarden DM, also hat sich der Schaden verfünffacht und unsere Regierung hat diesbezüglich die Zeit gut mit Schlafen und Nichtstun überbrückt. Der Präsident des Inlandgeheimdienstes Maaßen nahm im August noch ausdrücklich Länder wie die USA und Großbritannien in Schutz und versicherte, dass er “…nicht blind oder naiv sei…”. Was danach an Enthüllungen auf uns einbrach, braucht ja wohl nicht mehr erwähnt werden. Die Schätzung scheint dabei sogar noch sehr verhalten ausgefallen zu sein.

Wo bleibt ein deutliches Statement aus der deutschen Wirtschaft?

Immerhin spricht der deutsche Ingenieursverband VDI am 3. Februar 2014 in Focus Online von einem geschätzten Schaden in Höhe von 100 Milliarden Euro (jährlich) und beruft sich auf Angaben des Industrieverbandes BDI. Nun gut, über solche Zahlen scheint sich heute wohl niemand mehr so richtig aufzuregen, schließlich sind wir über unsere Staatsverschuldung und den Beträgen zur Rettung von Banken oder des Euro durch ganz andere Größenordnungen in unserem Zahlenverständnis abgestumpft. Um also diese Zahl etwas einzuordnen möchte ich auf eine Meldung vom 27. Februar 2014 im Focus Online hinweisen, dass die deutschen Kommunen insbesondere in NRW mit 130 Milliarden Euro Schulden (gesamt, nicht jährlich!) vor dem Finanzkollaps stehen. Kultureinrichten müssen geschlossen werden, Schwimmbäder, Jugendhäuser, Sportvereine werden nicht mehr unterstützt, Straßen nicht mehr beleuchtet, die Infrastruktur verarmt.

Worin liegt explizit der durch Wirtschaftsspionage verursachte Schaden?

Ein Teil des Schadens entsteht natürlich durch entgangene Aufträge an die deutsche Industrie, indem Wettbewerber das deutsche Angebot kennen, erlangen sie für ihre eigene Angebotserstellung klare Vorteile. Herausragende bekannt gewordene Beispiele sind wie zitiert Ferrostaal im vergangenen Jahr ebenso wie der Klassiker im Jahr 1993: Damals verschaffte sich im Hinblick auf die Lieferung von Hochgeschwindigkeitszügen nach Südkorea der französische Hersteller Alstom (TGV) über die DGSE durch Spionage einen Wettbewerbsvorteil gegenüber dem deutschen Konkurrenten Siemens (ICE).

Viel wichtiger ist aber der Diebstahl von Forschungs- und Entwicklungsergebnissen. Hier lässt man deutsche Unternehmen zunächst beträchtliche Summen investieren: Flugzeuge, Autos, U-Boote, Umwelttechnologie, Medikamente etc. und stellt dann auf dieser Basis eine Kopie von ganzen Industrieanlagen oder Produkten dagegen, mit erheblich geringeren Anschubs- und Produktionskosten. Gute Beispiele sind die Cyber Angriffe auf EADS und Thyssen, in der Zeit vom 24.Februar 2013 an. Effekte sind bei uns Fehlinvestitionen, Umsatzeinbußen, Verlust von Arbeitsplätzen und Firmeninsolvenzen. Zyniker mögen die Wirtschaftsspionage also als ein adäquates Mittel zur Verringerung des deutschen Außenhandelsüberschuss ansehen.

Sind sich zu wenige Unternehmen diesen Gefahren bewusst und falls ja, wie lässt sich gegensteuern?

In der Sendung vom 10. Dezember 2013 berichtete Frontal 21 auch über eine Umfrage der norddeutschen Industrie und Handelskammer in 713 anonymisierten Unternehmen unterschiedlicher Branchen. Demnach reden diese über die ihnen bekannt gewordenen Angriffe nicht, weil sie einen Imageverlust fürchten. Das kann ich persönlich nachvollziehen. Mir hat es auch nicht besonders gefallen, von Vodafone einen Brief mit der Mitteilung zu erhalten, dass Daten ehemaliger Kunden gestohlen wurden inklusive der persönlichen Angaben und Kontenverbindungen und ich doch deshalb bitte meine Kontoauszüge genau studieren möchte. Jedes dritte Unternehmen sei in den letzten zwölf Monaten Opfer einer Netzattacke geworden, doch nur rund jedes zehnte angegriffene Unternehmen meldete das den Ermittlungsbehörden, also dem Verfassungsschutz.

Gibt es dennoch konkrete Vorschläge aus der Wirtschaft, welche Maßnahmen sinnvoll wären?

Doch, die gibt es. BDI Chef Ulrich Grillo schlug angesichts der massiven Schäden vor, “Wirtschaftsspionage im Völkerrecht zu ächten” (28. August 2013). Das erscheint mir allerdings vorsichtig ausgedrückt reichlich blauäugig. Pragmatischer ist dagegen wohl der Ansatz des Vorstandsvorsitzenden Tom Enders von der Airbus Group (ehemals EADS), “man möge aufhören zu lamentieren und endlich eine gescheite Spionageabwehr aufbauen” (Handelsblatt Online 4.11.2013).

Nach einem Bericht der Süddeutschen Zeitung und des Spiegel vom 16. Februar 2014 gibt es im Bundesamt für Verfassungsschutz Pläne, die Abteilung Spionageabwehr massiv auszubauen. Das kann man dann aber nicht halbherzig machen, sondern muss richtig Geld investieren zur eigenen Netzabsicherung und zu eigenen Verschlüsselungsverfahren. Das Potential ist wie gesagt enorm, aber wie will man ein solches Unterfangen angehen, wenn die Staatsfinanzen auf Kante genäht sind und ein Zwang zum Sparen besteht? Und außerdem: Wie soll das bei den überwältigenden Fähigkeiten der NSA bewerkstelligt werden, wenn das Bundesamt für Sicherheit im Internet (BSI) noch nicht einmal mehr den eigenen Verschlüsselungstechniken traut?

Auch das geplante No-Spy-Abkommen kommt scheinbar nicht zum Abschluss. Welche Gründe vermuten Sie dahinter und welche Folgen hat das ggf. für die Wirtschaft?

Es gibt seit 1947 ein Abkommen zwischen den USA und Großbritannien zur Zusammenarbeit der Geheimdienste dieser beiden Länder, dem sich Commonwealth Staaten Australien, Neuseeland und Kanada anschlossen und die gemeinhin als “Five Eyes Allianz” bekannt ist. Ursprünglich war das während des Kalten Krieges ein Bündnis gegen die Sowjetunion, danach änderte sich der Zweck wohl auf Wirtschaftsspionage. Es gibt die Abmachung, sich untereinander nicht auszuspionieren. Nachdem Bundeskanzlerin Angela Merkel offiziell davon erfuhr, ausgespäht worden zu sein, hat sie ja medienwirksam nach einem “No-Spy”-Abkommen mit den USA verlangt und damit zunächst die Volksseele als “Macherin” beruhigt und vertröstet.

Aus welchen Gründen? Die Fakten liegen doch auf der Hand und ein Abwiegeln macht ungeachtet der Bewahrung der freundschaftlichen Beziehungen keinen Sinn.

Meines Erachtens war die ganze Geschichte von Anfang an entweder extrem naiv oder (wahrscheinlicher) ein geschicktes Täuschungsmanöver. Von den Amerikanern gab es freundliche Worte, aber US Präsident Barak Obama sagt ganz klar, dass er sich nicht für die überragenden Fähigkeiten seines Geheimdienstes entschuldigt und (Wirtschafts-)Spionage gängiges Geschäft zwischen den Völkern sei, also quasi ein sportlicher Wettstreit. Bei dem Staatsbesuch von Francois Hollande erklärt er sogar, selbst mit Großbritannien (sic!) gäbe es kein solches Abkommen (Spiegel Online 11. Februar 2014). Man möchte fast hinzufügen, dass – wenn der BND die Wirtschaftsspionage ganz offiziell nicht zu seinen Aufgaben zählt – dies eben Sache (sprich: Dummheit) der Bundesrepublik sei. Warum sollte die amerikanische Wirtschaft auch auf einen so tollen Service wie das sogenannte “Advocacy Center” verzichten und damit quasi per Antragsformular deutsche Unternehmen und speziell deren Manager durch die NSA ausspionieren zu lassen?

Etwas anders sähe die Geschichte natürlich aus, wenn Deutschland schon mangels Souveränität dazu gar nicht in der Lage wäre. Die Stellungnahme von Manfred Murk, Leiter Verfassungsschutz Hamburg, in der Frontal 21 Sendung, dass man “… die Spionagetätigkeit der Amerikaner aus politischen und anderen Gründen nicht so hoch hänge…” lässt da aufhorchen, insbesondere wenn man sich an die gleichen Zwischentöne von Ronald Pofalla am 19.8.2013 und von Bundesanwalt Harald Range am 11.12.2013 erinnert. Auf die Frage nach der Rechtmäßigkeit der NSA-Ausspähungen (siehe hierzu die Ausführungen des Historikers Josef Foschepoth auf dem 30C3 Kongress des Chaos Computer Club) auf deutschem Boden warten wir ja immer noch auf eine Antwort des Generalbundesanwalts.

Gibt es denn aus Ihrer Sicht überhaupt noch Hoffnung, dass es zu einem No-Spy-Abkommen kommt?

Ganz klar: Nein! Das Thema ist vom Tisch. Deutschland kümmert sich auch schon wieder um andere Affären. Business as usual.

*Anm. der Redaktion:
Beim Besuch des Außenministers Steinmeier in den USA am 28.2. bestätigte sich übrigens nach dem Interview die Vermutung von Prof. Winkels, dass es zu keinem “No-Spy”-Abkommen mit den USA kommen wird.

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Mangelnde Justizkontrolle – Ist unser Rechtsstaat in Gefahr?

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Fälle wie etwa Gustl Mollath oder Jörg Kachelmann haben in der Vergangenheit aufhorchen lassen und für viel Wirbel gesorgt. Grundlage derartiger Fehlentwicklungen im vermeintlich rechtsstaatlichen Justizgefüge können unter anderem auch die in Deutschland praktizierten Gutachtertertätigkeiten im Auftrag der Justiz bieten. Die durch Gerichte offiziell bestellten Experten haben maßgeblichen Einfluss auf eine Urteilsfindung. Die hinzugezogenen Gutachter stehen jedoch gleichzeitig in wirtschaftlicher Abhängigkeit zu ihrem Auftraggeber – also der Justiz selbst. Das rüttelt an den Grundfesten der Neutralität, die rechtsstaatliches Handeln grundsätzlich voraussetzt und es schafft Abhängigkeiten.

Siehe hierzu auch folgenden Beitrag des Bayerischen Rundfunks:
br

Werden rechtsstaatliche Prinzipien im Rahmen solcher Gutachtertätigkeiten verletzt, hinterlässt dies bei Betroffenen ein menschliches Desaster mit zumeist irreversiblen Schäden und dramatischen Folgen für das gesamte weitere Leben. Umso wichtiger werden Kontrollen in Bereichen, die ansonsten schwer zugänglich sind. Kontrollmechanismen also auch für die Justiz, die bisher aufgrund immenser Vertrauensvorschüsse durch die Gesellschaft praktisch keine Rolle spielten.

Eine unter der Leitung der Münchener Professorin Dr. Ursula Gresser erhobene Studie, die unter anderem auf der Grundlage einer Vielzahl an Befragungen von Gutachtern basiert, untermauert die Brisanz der Thematik. Demnach habe jeder vierte Gutachter von der Justiz schon einmal “einen Fingerzeig bekommen hat”. Es bestehe damit dringender Handlungsbedarf, fordert Gresser. Wir haben nachgefragt.

Richter, Staatsanwälte und Gutachter – eine schwierige Allianz?

Prof. Dr. Ursula Gresser

Prof. Dr. Ursula Gresser
. (Foto: U. Gresser)

Man muss unterscheiden: Richter sind der Neutralität verpflichtet, sie sollen nach bestem Wissen und Gewissen die Wahrheit ermitteln und das Recht anwenden. Staatsanwälte sind die Ankläger, sie sollen einen vermuteten Täter einer Überführung und Bestrafung zuführen – selbstverständlich aber auch die Wahrheit ermitteln, Unschuldige schützen.

Gutachter sollen die juristische Expertise mit ihrem jeweiligen fachlichen Wissen ergänzen. Dabei sind bzw. wären sie verpflichtet, absolut neutral zu bewerten. Werden aber vom Auftraggeber Gericht bei Auftragsvergabe Hinweise gegeben, wo das Verfahren hinlaufen könnte, oder Unterlagen dem Gutachter nicht vollständig zur Verfügung gestellt, ist das Gutachten von Beginn an in seiner Wahrheitsfindung eingeschränkt, als Beweismittel unverwertbar.

Worin liegen Ihrer Meinung die Ursachen, wenn diesbezüglich notwendiger Handlungsbedarf nicht zum Zuge kommt?

Man hat aus der Erfahrung der deutschen Vergangenheit heraus versucht, ein komplett unabhängiges Rechtsystem zu installieren. Dabei hat man im Lauf der Zeit “Unabhängigkeit” mit “Unkontrolliertheit” und “Keine Verantwortung” verwechselt. Ein System ohne jedwede Kontrolle und Verantwortung wird auf Dauer entgleisen.
Wenn Fehler gemacht werden, ob aus fehlender Kompetenz, Bequemlichkeit oder aus individuellen Interessen heraus, dann müssen die Verantwortlichen dafür zur Rechenschaft gezogen werden. Der Rechtsstaat muss für alle gelten.

Rechtstaatlichkeit – darauf haben Bürger ein grundgesetzlich verbrieftes Recht. Welche Kontrollen und Maßnahmen fehlen, dass es zu den im BR-Beitrag geschilderten Fehlentwicklungen überhaupt kommen kann?

Es fehlt an Kontrolle und Konsequenz. Es gibt Verfahren, da wissen längst alle Beteiligten, dass der Falsche vor Gericht steht, aber man korrigiert dies nicht. So wie die Ärzteschaft lernen musste, zu Fehlern zu stehen, aus ihnen zu lernen, sie zu korrigieren, so muss dies nun für die Organe des Rechtssystems geschehen. Juristen sind nicht unfehlbar, und es würde ihnen besser zu Gesicht stehen, wenn sie dazu stehen und ihre Fehler – wenn sie welche gemacht haben – korrigieren würden.
Wir brauchen für unser Rechtssystem eine wirksame Kontrolle und ein Qualitätsmanagement. Und Konsequenzen bei offensichtlichem Fehlverhalten. Dies fehlt bislang.

Welche Gegenmaßnahmen könnten die derzeitigen Defizite denn weitgehend ausräumen?

Da gibt es viel zu tun. Was das Gutachterwesen angeht, haben Herr Jordan und ich einen Gesetzentwurf vorbereitet, der ab 08. April 2014 in der Zeitschrift “Der Sachverständige” des Beck-Verlages veröffentlicht wird, zu lesen unter “Publikationen“. Was den Rechtsstaat angeht, so wäre es wünschenswert, dass Richter nicht nur aus dem Kreis der Staatsanwälte kommen, sondern auch aus dem Kreis der Anwälte. Die Nähe zwischen Richter und Anklage sollte nicht anders sein, als die Nähe zwischen Richter und Verteidigung.

Wie können sich Bürger schützen, nicht Opfer eines gerichtlichen Gutachter-Systems zu werden, das eigentlich rechtwidrig ist?

Bürger können sich gar nicht schützen. Wenn Sie den Schicksalsschlag erleiden, in die Mühlen des Systems zu geraten, zum Beispiel als Opfer einer Falschbeschuldigung, dann haben sie schlechte Karten. Selbst wenn es ihnen gelingt, die Falschbeschuldigung zu beweisen – wie es zum Beispiel im Falle Kachelmann erfolgt ist – wehrt sich das Rechtssystem immer noch gegen “die Rolle rückwärts” und gegen die Bestrafung der tatsächlichen Täter, z.B. nach StGB §§ 164 und 239. Der Schaden, den diese verursacht haben, muss rechtsstaatlich gewürdigt werden. Meines Erachtens müssten im Falle Kachelmann längst Ermittlungen gegen die wohl falschbeschuldigende Dame eingeleitet worden sein, es müsste auch hinterfragt werden, ob die Organe des Rechtsstaates korrekt ihre Arbeit gemacht haben. Es fehlt an einer Fehlerkultur im Rechtssystem, diese muss geschaffen werden.

Wer hilft Opfern im Zweifel weiter?

Wer im Zweifel weiterhelfen kann? Wirksame Hilfe in der derzeitigen Krise geben nur Bürgernetzwerke und die öffentliche Diskussion. “Neuland” – also unser Internet – ist hier eine Chance zum Erhalt von Demokratie und Rechtsstaat. Twittern Sie, gehen Sie in Facebook, sprechen Sie über Ihren Fall! Die Motten scheuen das Licht, die Täter das offene Wort.

Header-Foto: Clipdealer.de
Foto BR: Screenshot Bayerischer Rundfunk

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Ex-”Stern”-Reporter Gerd Heidemann: Kriege werden am Schreibtisch geplant (2/4)

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Gerd Heidemann begann in den 1950er Jahren als freier Fotoreporter und war von August 1955 bis Mai 1983 Reporter des Magazins “Stern”. Dort machte er sich nicht nur als erstklassiger Recherchespezialist zu unzähligen brisanten Reportagen einen Namen, sondern auch als Kriegsberichterstatter. Unter oft schwierigsten Bedingungen berichtete er von insgesamt 13 Kriegsschauplätzen, unter anderem aus Biafra, Angola, Cabinda, Mozambique und Guinea-Bissao. In Teil II unseres vierteiligen Interviews spricht Gerd Heidemann über den ewigen Kreislauf der Gewalt und erklärt, warum er glaubt, dass Antikriegsgeschichten und Antikriegsfilme eigentlich Pro-Kriegsgeschichten sind.

Stichwort Kriegsschauplätze. Einen weiteren Arbeitseinsatz gab es für Sie im Biafra-Krieg?

Foto: Gerd Heidemann

Foto: Gerd Heidemann

Ja, dort war ich auf der Seite der nigerianischen Armee, bevor ich einen Monat später, im August 1968 in die Tschechoslowakei musste, um dort den Einmarsch der sowjetischen Armee zu recherchieren. Und so ging es Schlag auf Schlag weiter. Es folgte der sogenannte “Schwarze September” in Jordaniens Hauptstadt Amman. Von den palästinensischen Terroristen waren drei Flugzeuge entführt worden. Nachdem man diese in der Wüste gesprengt hatte, griff die jordanische Armee die Palästinenser im Land an.

Es kam in der Hauptstadt zu einer blutigen Auseinandersetzung. Ich konnte meinen Freund und Kollegen Randolph Braumann aus dem Gebiet der Palästinenser retten, indem ich einen Waffenstillstand zwischen den kämpfenden Parteien herbeiführte. Mein Kollege flog mit dem Fotomaterial nach Hamburg zurück, und ich blieb noch einige Tage in Amman, weil ich jeden Tag die Fronten wechseln durfte und die Soldaten solange das Feuer einstellten.

 

Alle Fotorechte: Gerd Heidemann; Animation: U. Pidun/SPREEZ.

 

Gerd Heidemann 1970 mit Hans-Jürgen Wischnewski im Hiof der Deutschen <br /> Botschaft in Amman/JordanienBis hierhin kamen Sie ohne nennenswerte Blessuren davon? 

Wie schon im Kongo, wo eine Kugel in der Kniekehle durch meine Hose geflogen und zwei Löcher hinterlassen hatte, ohne mich zu verletzen, hatte ich auch hier wieder Glück. Ein Schuss riss nur meine Hose auf, die ich mir vor der Reise gekauft hatte und hinterließ eine Brandspur an meinem Bein. Als ich dies dem “Stern” nach meiner Rückkehr mitteilte, weil ich hoffte, die Kosten ersetzt zu bekommen, teilte man mir nur kurz mit: “Für Versicherungsschäden dieser Art kommt die Versicherung nicht auf.”

Bald hatten sie auch andere Sorgen, als einen Versicherungsschaden für eine Hose geltend zu machen. Viel Krieg und wenig Frieden? 

Das kann man so sagen, denn es folgten die Kolonialkriege in Angola, Mozambik, Cabinda und Guinea-Bissao. Zwischendurch musste ich den Aldi-Entführer nach Mexiko verfolgen, durfte von dort nach Peru fliegen, um das deutsche Mädchen Juliane Koepcke im Urwald von Peru zu suchen.

Juliane Koepcke im Urwald von Peru (1972) <br /> Juliane war an Heiligabend aus einem explodierenden Flugzeug in den Urwald gefallen. Sie hatte sich einige Tage schwimmend durch den Urwald fortbewegt. Dann wurde sie durch Holzfäller vor dem Verhungern gerettet in einer Linguisten-Station der Amerikaner, die Indio-Dialekte erforschte, gesund gepflegt. Dort musste ich die Konkurrenz der gesamten Weltpresse überwinden, um die Geschichte exklusiv zu bekommen. Schon bald darauf wurde ich zu Saddam Hussein geschickt, weil ich dort mit meinem Kollegen Randolph Braumann über den Kurdenkrieg berichten sollte.

Dachten sie nie daran, damit aufzuhören, sich dermaßen in Gefahr zu begeben?

Doch, denn als ich ein Dutzend Kriege voll hatte, musste ich auch meiner damaligen Frau versprechen, nie wieder in den Krieg zu ziehen. Das versprach ich hoch und heilig. Doch Ostern 1979 rief mich der stellvertretende Chefredakteur Viktor Schuller an und teilte mir mit, dass zwei Kollegen in Uganda vermisst seien und ich mit meiner Erfahrung dem Team, das jetzt nach Kenia geschickt würde, mit Rat und Tat helfen solle, das Schicksal dieser beiden Kollegen zu klären. Das konnte ich natürlich nicht ablehnen. Als ich in Kenia angekommen war, charterte ich ein Kleinflugzeug und ließ mich mit einem Kollegen nach Entebbe in Uganda fliegen. Bald darauf traf das ganze “Stern”-Team in Kampala ein und, wir fanden nach einiger Zeit die Leichen der beiden anderen Kollegen, die von ugandischen Polizisten ermordet worden waren und überführten die sterblichen Überreste nach Deutschland.

Gerd Heidemann Ostern 1979 vor einem zerstörten ugandischen Panzer. <br /></p><br /><br /><br /> <p><br /> Und was ist dran an der Geschichte mit dem seltsamen Souvenir, das Sie aus Uganda mitbrachten? 

Die Geschichte ist in der Tat wahr. Während des Aufenthaltes in Uganda, leerte ich den Schreibtisch von Idi Amin mit den Geheimdokumenten aus und nahm nebenbei auch seine Unterhose aus dem Schlafzimmerschrank als Souvenir mit, da sie die imponierende Größe von wahrscheinlich XXXXL hatte. Diese tauschte ich später gegen Dokumente in einem deutschen Auktionshaus ein. Dort ersteigerte sie der bekannte Schauspieler Jan Fedder und gliederte sie in seine Kuriositäten-Sammlung ein.

Kriege sind die hilflosesten und unintelligentesten aller Versuche, zu einer wie auch immer gearteten Entscheidung zu gelangen. Haben Sie während Ihrer Einsätze über Sinn und Unsinn dieser gewalttätigen Auseinandersetzungen nachgedacht? 

Wenn Sie in Ihrer Frage behaupten, dass Kriege immer die hilflosesten und unintelligentesten aller Versuche sind, eine bestimmte Entscheidung herbeizuführen, muss man sich die Geschichte der Menschheit ansehen. Seit es Menschen gibt, hat es unter ihnen Zank, Streit, Verbrechen und kriegerische Auseinandersetzungen gegeben. Fast keine Nation und das von ihr besiedelte Land ist ohne vorherige Kriege, Massaker und Abschlachten Tausender von Menschen entstanden. Natürlich ist jeder Krieg ein Verbrechen in großen Dimensionen, aber offensichtlich scheint der Mensch von der Natur oder von Gott darauf programmiert zu sein. Und so optimistisch und blauäugig bin ich nicht, dass ich glaube, dass sich daran etwas in der Zukunft ändern wird. Auch grüne Politiker sind der Meinung, dass militärische Gewalt eine Option bleiben muss, wenn jedes andere Mittel einer friedlichen Lösung versagt. Das bewies auch der frühere Außenminister Fischer, als er seine Zustimmung zur Intervention deutscher Truppen im Kosovo gab. War das etwa ein unintelligenter Versuch? In diese Kategorie würde ich aber den von Präsident Bush angeordneten Angriff auf den Irak einordnen.

Kongo 1964 Immerhin – doch erklärt es tatsächlich den ungebrochenen Kreislauf der Gewalt bis heute?

Zuerst kämpfte seit Bestehen der Menschheit Mann gegen Mann, dann Gruppe gegen Gruppe, danach Stamm gegen Stamm, schließlich Volk gegen Volk und endlich Völker gegen Völker. Das führte letztendlich zu den beiden großen Weltkriegen. Und dem furchtbaren Zweiten Weltkrieg verdankt nun die Bundesrepublik ihr Entstehen, denn sonst würden wir noch im Großdeutschen Reich leben. So könnte man auch denen Recht geben, die behaupteten, der Krieg sei der Vater aller Dinge. Mir scheint, er ist eher der Stiefvater, dem das Schicksal der Menschen gleichgültig ist. Es gibt auch den Spruch: “Das Paradies ist unter dem Schatten der Schwerter”, womit gemeint ist, dass man potentielle Angreifer durch entsprechende Aufrüstung abschreckt.

Dank des Gleichgewichts der Waffen und der Gefahr der gegenseitigen endgültigen Vernichtung durch die furchtbarste aller Waffen, die Atombombe, ist es nach dem Zweiten Weltkrieg zu einem Patt der zerstrittenen Weltmächte gekommen. Man hat sich einander angenähert und wird sich hoffentlich nie wieder bekriegen und vielleicht sogar zu einer atomaren Abrüstung kommen. Aber auch hier besteht wieder die Gefahr, dass jemand wie der nordkoreanische Diktator querschießt und sich vernünftigen Gesprächen und Abkommen verweigert.

Außerdem geht es wieder rückwärts: Einzelne religiöse Fanatiker kämpfen gegen den Rest der Welt, es gibt zunehmend wieder mehr Stammeskämpfe in Afrika, dazu kommen religiöse Auseinandersetzungen in Indien, Pakistan, Irak und Afghanistan und eventuell auch wieder in Europa. Das alles mag ziemlich unintelligent sein, aber viele Kleinkriege, wie beispielsweise der Söldnerkrieg im Kongo, den ich als ersten meiner 13 Kriege miterleben durfte, wurde von intelligenten Menschen am Schreibtisch einer großen Minengesellschaft in Brüssel geplant und führte sogar zu einem gewissen Erfolg für diesen Konzern.

 

Alle Fotorechte: Gerd Heidemann; Animation: U. Pidun/SPREEZ.

 

Dann geht es vor Ort einfach um den Job, der so gut wie möglich gemacht werden muss und man versucht, auszublenden?

Gerd Heidemann 1970 im Urwald von Cabinda (1970Das ist komplex. Man blendet nicht aus und blendet in gewisser Weise doch aus. Als wir beispielsweise im September 1964 von Henri Nannen den Auftrag bekamen, über diesen Söldnerkrieg zu berichten, schleppte ich neben meiner umfangreichen Fotoausrüstung auch mein damals sehr großes Tonbandgerät mit in den Urwald. Ich wollte von den Söldnern wissen, warum sie sich freiwillig in ein solches blutiges Abenteuer eingelassen hatten und warum mancher von ihnen dabei zum Mörder wurde. Es ging mir also nicht nur um Fotoaufnahmen, ich wollte die Hintergründe dieses Krieges und die Motive der Beteiligten erforschen. Ich musste erleben, wie nach wenigen Tagen im Urwald die dünne Zivilisationsschicht von diesen jungen Männern abfiel und sie keine Hemmungen mehr hatten, andere Menschen zu töten.

Auch nach Veröffentlichung unserer kritischen Reportage wurde ich um eine Erfahrung reicher. Denn jede Antikriegsgeschichte, jeder Antikriegsfilm, ist eigentlich eine Pro-Kriegsgeschichte. Wir hatten im “Stern” die Taten dieser Söldner und den Krieg angeprangert, aber das Ergebnis war, dass wir viele Zuschriften junger Männer bekamen, die anfragten, wo und wie sie sich zum Söldnerdienst melden könnten.

Es zog Sie – trotz aller Gefahren – immer wieder zurück zu den Kriegsschauplätzen?
Seit damals zog es mich immer wieder in Kriegsgebiete. Wie schon anfangs erwähnt, erlebte ich den Sechs-Tage-Krieg Israels auf jordanischer Seite, machte in Biafra auf Regierungsseite den Krieg mit, war mit den verschiedensten portugiesischen Militäreinheiten in Angola, Cabinda, Mozambique und Guinea-Bissao unterwegs und durfte mit Genehmigung Saddam Husseins über den Kurdenkrieg im Irak berichten. Und als letzten und 13. Krieg, half ich mit, meine erschossenen Kollegen in Uganda zu suchen und ihre Leichen nach Deutschland zu überführen. Was mich dann allerdings sehr enttäuschte, war die Abwesenheit Henri Nannens bei der Beerdigung dieser Kollegen. Darum habe ich immer wieder Kollegen abgeraten, sich freiwillig für den “Stern” in solche Lebensgefahr zu begeben.

Lesen Sie in Teil III: NS-Recherchen führten zu Konsequenzen

Das Gespräch führte Ursula Pidun
Alle Fotorechte: Gerd Heidemann;
Fotobearbeitung und Flashanimationen up/SPREEZEITUNG.de

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NSA-Skandal: “Täuschen Teile der politischen Ebene Naivität nur vor?”

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Die derzeitigen Erkenntnisse zu umfassenden Bespitzelungen durch US-amerikanische Dienste schreckt die Republik auf. Auch auf politisch höchster Ebene läuten die Alarmglocken, nachdem feststeht, dass auch das Handy der Kanzlerin abgehört wurde. Die Politik zeigt sich angesichts der umfassenden Bespitzelungen überrascht. Doch weiß sie tatsächlich so wenig wie sie vorgibt? Im Gespräch mit Prof. Dr. Heinz-Michael Winkels, Wirtschaftsprofessor an der FH-Dortmund.

Herr Prof. Winkels, was halten Sie von der derzeitigen Aufregung rund um die Aufdeckung der Späh-Aktionen US-amerikanischer Geheimdienste? Ist das aus Ihrer Sicht alles wirklich so neu?

Prof. Dr. Heinz-Michael Winkels (Foto: FH-Dortmund)

Prof. Dr. Heinz-Michael Winkels
(Foto: FH-Dortmund)

Das ist überhaupt nichts Neues. Udo Ulfkotte, der in anderem Zusammenhang ja nicht ganz unumstritten ist, hatte bereits 1999 ein absolut bemerkenswertes Buch über Wirtschaftsspionage veröffentlicht, in dem er alle diese Missstände überaus deutlich beschrieb. Darüber hinaus gibt es eine Unmenge an Berichten in den gängigen Nachrichtenmedien, insbesondere damals zu Echelon und Bad Aibling. Es ist unglaubwürdig, wenn hier jemand behauptet, nie davon gehört zu haben.

Welche Defizite gibt es hierzulande bzw. auf europäischer Ebene in Hinblick Datenschutz und dem Ausbau der Informationstechnologie ganz generell?

Ich bin mir nicht sicher, ob man hier die Bundesrepublik mit dem Rest der europäischen Gemeinschaft, insbesondere Frankreich und Großbritannien gleich setzen sollte. Wir haben mit Sicherheit hervorragende IT-Experten und entsprechende Firmen der IT-Branche, was mir aber zu fehlen scheint, das ist das politische Verständnis und/oder der politische Wille.

Wenn unsere Bundeskanzlerin in diesem Jahr feststellt, dass das Internet für „sie alle … Neuland“ sei, dann kann ich mir nur verwundert an die Stirn schlagen, mich fragen, ob ich das auch wirklich so verstanden habe, und dann diese Tatsache nur noch der Einschläferungstaktik des vergangenen Wahlkampfes zuschreiben. Wir reden hier über Dinge, die seit mehr als 15 Jahren bekannt sind und unser Land erheblich schädigen. Sind Teile der politischen Ebene in unserem Land so dumm und naiv oder gibt man das nur vor? Richtig Angst macht mir, wenn das nur Vortäuschung ist, denn dann muss ich mich nach dem „Warum“ fragen und wer davon profitiert.

Die Bundesregierung jedenfalls zeigt sich überrascht angesichts immer weiterer Enthüllungen, die an die Öffentlichkeit geraten. Erscheint Ihnen diese Ahnungslosigkeit ebenso wenig glaubwürdig?

Ich bin der festen Überzeugung, dass die Umstände an sich bekannt sind, man wegen der politischen Verwicklungen aber nicht darüber reden wollte. Nach den massiven Snowden-Enthüllungen konnte man nicht länger darüber schweigen, weil zu viel an die Presse gelangte und sich der Skandal nicht per Dekret des Kanzleramtes als beendet erklären ließ. Darüber hinaus glaube ich auch, dass die Spionageaffäre der USA nur die kleine Spitze des Eisberges ist. Die Angriffe chinesischer Hacker beispielsweise auf die Rechner der Bundesregierung sind seit langem bekannt, haben aber zu keiner großen Aufregung in unserem Lande geführt.

Industriespionage zählte hierzulande bisher auch nicht unbedingt zum zentralen Kernpunkt wichtiger Diskussionen?

Die Industriespionage sogar unserer Verbündeten in diesem Lande wird zumindest nach außen ignoriert. Ob Frau Merkel nicht auch von dieser Seite abgehört wurde, lassen einige Verhandlungsrunden bei der Bewältigung der Finanzkrise als durchaus möglich erscheinen. Heute lese ich einen Artikel in der FAZ, nach dem die Griechen die Amerikaner abgehört haben sollen. Warum sollten sie es nur bei denen bewenden lassen? Die Briten betreiben Spionage in Italien, usw. Bei wirtschaftlichen Interessen hört bekanntlich die Freundschaft auf. Meiner Meinung nach fehlt es in unserem Lande nicht an dem Können, jedoch an dem politischen Willen zum Datenschutz, zum Datenschutz auf politischer, industrieller und individueller Ebene.

Wenn Europa derart hinterherhinkt, waren solche Exzesse ausländischer Geheimdienste im Prinzip zu erwarten?

Diese Exzesse gibt es ja seit mehr als 15 Jahren, schauen Sie sich mal die Beispiele in dem Buch von Udo Ulfkotte an, ob es sich um neue Erfindungen, Pläne für U-Boote oder um Verkaufsangebote beispielsweise für Schnellzüge in Südkorea handelt. Die Bundesrepublik ist ein sehr lohnendes Angriffsziel, weil wir uns hier mit Verstößen durch Verbündete besonders schwer tun.

Wähnte sich Deutschland diesbezüglich eventuell sogar im Schulterschluss mit den amerikanischen Diensten und sah sich irrtümlich als Profiteur des Wissensvorsprungs der amerikanischen “Freunde”?

Wie die New York Times jetzt berichtete, war der BND wohl an den Vorarbeiten von „Stuxnet“ beteiligt. Ganz so blauäugig scheint man auf deutscher Geheimdienstseite also nicht zu sein. Vielleicht gelangt man über diesen Skandal jetzt sogar in den Genuss einer Beteiligung an einem „No-Spy“-Abkommen, wie es etwa bei Five Eyes (USA, UK, Australien, Kanada, Neuseeland) besteht. Das wäre dann allerdings ein geschicktes Ausnutzen des Snowden-Effektes.

Sie haben diesen Wissensvorsprung im Bereich „Cyberwar“ und „Netwar“ schon lange vorausgesehen und mögliche Konsequenzen auch maßgeblichen Stellen zu Kenntnis gebracht?

Ich selbst kam zu dem Thema, als mein eigener Hochschulserver zur Logistik von palästinensischen Hackern kompromittiert und meine Webseite mit antiamerikanischen-Parolen überschrieben wurde. Ich hatte mich daraufhin mit möglichen einfachen Abwehrmaßnahmen und ganz allgemein mit dem Thema „Information Warfare“, also den „Militärischen Operationen mit und in Informationsnetzen“ beschäftigt. Diese Erkenntnisse und zugehörige Handlungsempfehlungen konnte ich dann im Jahr 2000 als Experte für Informationslogistik in dem Bericht der Logistik-Arbeitsgruppe für die Weizsäcker-Kommission „Gemeinsame Sicherheit und Zukunft der Bundeswehr“ zusammenfassen.

Wie wir heute erkennen, wurden Ihre Warnungen nicht ernst genommen?

Die Ergebnisse sind einigen Kommissionsmitgliedern damals auch mündlich vorgetragen worden, in dem Abschlussbericht der Kommission dann aber überhaupt nicht mehr erwähnt. Einige Zuhörer waren hier offenbar absolut überfordert. Ich versuchte darauf hin nach Kontakten mit der Bundeswehr, das Thema bei einer IT-Sicherheitskonferenz in Düsseldorf vorzutragen, meine Präsentation wurde aber als „nicht relevant“ abgelehnt.

Um welche Vorschläge ging es denn in Ihrer Präsentation?

Die wesentliche Idee bestand in der Bildung einer IT-Kampftruppe („Hackerkompanie“), die ihre Ergebnisse eng mit der deutschen Industrie koordinieren sollte. Man hatte wohl 2005 im BSI eine solche Gruppe gebildet, heute soll ein NCAZ (Nationales Cyber Abwehr Zentrum) aus 10 Personen in Mehlem/Bad Godesberg bestehen. Das ist für ein Land wie die Bundesrepublik einfach lächerlich. In China, Nordkorea, Iran und weiteren Schwellenländern gibt es ganze Kompanien, von den führenden USA, Israel, Rußland, Japan, Frankreich, Großbritannien ganz zu schweigen.

Sie haben allerdings nicht locker gelassen und im Jahr 2003 in Berlin einen eindringlichen Vortrag auch vor maßgeblichen Politikern gehalten?

Über einen ehemaligen Staatssekretär gelang es mir dann, 2003 einen Vortrag beim Parlamentarischen Stammtisch „Mars & Minerva“ in Berlin direkt neben dem Reichstag vor Politikern aller Parteien sowie Vertretern der Bundeswehr und der Rüstungsindustrie zu halten, das allgemeine Bedrohungspotential zu beschreiben sowie Handlungsempfehlungen auszusprechen. Die Präsentation ist übrigens auf meiner Webseite zu finden und wurde auch relativ häufig im Internet erwähnt. Die damaligen Teilnehmer hatten wie zuvor auch die Kommissionsmitglieder die Brisanz des Themas in keiner Weise erkannt. Man konzentrierte sich damals vornehmlich auf das „Herkules-Projekt“, SAP bei der Bundeswehr einzuführen.

Ich war von der Dummheit und Ignoranz einiger Politiker damals dann so demotiviert, dass ich keine Lust mehr hatte, weiter als „Don Quijote“ gegen Windmühlen zu kämpfen, die offensichtlich an maßgeblicher Stelle niemanden interessierten. An einer vertiefenden Studie bestand kein Interesse. Ich weiß aber aus Gesprächen mit einem Generalmajor a.D., dass auch seitens der Bundeswehr das Thema diskutiert wurde und ähnliche Ideen wie meine kursierten. Ich habe mich danach nur noch um klassische Transportoptimierung gekümmert und „Information Warfare“ nur noch aus der Ferne durch die Medien verfolgt.

Auf politischer Ebene führten derartige Vorträge, Hinweise und Aufklärungen dann auch nicht zur gebotenen Sensibilisierung für die Themen „Cyberwar“ und Wirtschaftsspionage? Nicht einmal bei den sehr wirtschaftsnahen Parteien?

Es gibt dieses NCAZ und auf Länderebene ein Lippenbekenntnis zur Abwehr von Industriespionage. Einige mir bekannte Firmen sind dazu übergegangen, bei wichtigen Konferenzen, die Handys nicht nur auszuschalten, sondern sie auch außerhalb des Konferenzraumes zu lassen, weil selbst ausgeschaltete Handys ferngesteuert werden könnten. Ob man das nicht auch bei und vor EU-Konferenzen so machen sollte? Ich kenne da einige Bilder mit telefonierenden oder SMS-lesenden Politikern.

Was blüht denn unserer Wirtschaft mittel- und langfristig angesichts der akribischen Überwachungspraktiken der amerikanischen Bündnispartner?

Die Techniken werden ja nicht nur von den Amerikanern angewandt. Um nicht alle oben genannten Länder zu wiederholen, dürften zumindest China und Russland inzwischen genauso operieren. Schätzungen (Innenministerium) gehen bei der Industriespionage heute von ca. 50 Mrd. Euro Schaden pro Jahr für die Bundesrepublik aus. Das Ausspionieren von Regierungsstrategien (Finanzkrise) kann für eine Volkswirtschaft im Endeffekt noch zu erheblich höheren Schäden führen.

Sie gehen insgesamt davon aus, dass für Deutschland die wahren Gefahren nicht von Ostblockstaaten sondern von westlichen Wirtschaftsspionen ausgehen. Wie erklärt sich das?

Das bezog sich auf das Jahr 2000, in der globalisierten Situation sehe ich heute gleichermaßen Gefahren von überall her. Es sind eben die wirtschaftlichen Interessen, die zählen.

Wie viel informationstechnologisches Nichtwissen können wir uns auf politisch höchster Ebene in diesen Zeiten überhaupt noch leisten?

Eigentlich keines. Unsere Politiker sollten sich permanent von Experten über die derzeitigen Möglichkeiten unterrichten und Stresstests durchführen lassen. Wenn sie es nicht schon längst geschehen lassen.

Welchen Rat würden Sie in der augenblicklichen Situation erteilen, wenn Ihr Rat eingeholt würde?

Ich beobachte das ganze derzeit in sehr weitem Abstand aus meinem Elfenbeinturm. Zunächst wäre eine vollständige Situationsanalyse angebracht, wirklich ALLE Gefahrenpotentiale zu identifizieren und dann festzustellen, wo die wesentlichen Stärken in der Sicherheits-Technologie im eigenen Land liegen. Diese gilt es dann zu bündeln und auszubauen, um eigene Kernkompetenzen zu entwickeln. Das kann eigentlich nur funktionieren, wenn die besten IT-Experten des Landes mit der Industrie zusammenarbeiten und Rückendeckung durch die Politik bekommen. Die Japaner haben etwas derartiges schon einmal mit ihrem MITI für Wirtschaftsinnovationen vorgeführt.

Alle Fotos: FH-Dortmund

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Marcus von Jordan: “torial will letztlich systemrelevant sein”

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In Zeiten der Neuen Medien gewinnt Qualitätsjournalismus vor allem auch in Hinblick auf ein überbordendes Informations-Chaos einen noch höheren Stellenwert. Mit der Möglichkeit für Journalisten, via torial ein professionelles, dynamisches Portfolio im Netz anzulegen und sich damit adäquat in Szene zu setzen, entsteht ein ganzheitlicher Mehrwert – bis hin zum Verwerter. Welche Grundidee steckt hinter torial und was kann das Angebot für Journalisten explizit leisten? Wir haben nachgefragt. Im Gespräch mit Marcus von Jordan. Seit 2011 ist er Chefredakteur und Conceptioner bei der Audible Web GmbH für die Journalistenplattform “torial“.

Herr von Jordan, das Webangebot “torial” – die Plattform für Journalisten – besteht seit 2013. Welche Idee steckt dahinter?

Marcus v. Jordan (torial). (Foto: M.v.J)

Marcus v. Jordan (torial). (Foto: M.v.J)

torial liegt die Einschätzung zu Grunde, dass Journalismus immer “freier” wird. Damit ist nicht nur der Umstand gemeint, dass es für immer weniger Journalisten feste Anstellungen gibt. Sondern vor allem ist es so, dass das Internet kurze und spontane Kommunikationswege zwischen und unter den Journalisten und den Publizisten ermöglicht. Um ein spannendes, schnelles, journalistisches Produkt effizient zu produzieren und zu vermarkten, wird es immer wichtiger, eben diese Möglichkeiten zu nutzen.

Was bedeutet das konkret und in Hinblick auf torial?

Ein Kreativer sollte spontan und schnell definieren können, welche anderen Kreativen relevant sind für seine aktuelle Arbeit und die Verwerter sollten ebenso spontan die Expertise finden, die sie gerade brauchen. Netzwerk mit denen also, die man braucht und nicht nur mit denen, die man kennt!
Damit das funktionieren kann, braucht es einen Platz im Internet, an dem die Expertise vieler Journalisten zusammengefasst wird. Das passiert bei torial. Es entsteht ein Pool aus Kompetenz und Expertise, der semantisch geordnet ist und den einzelnen Journalisten raus nimmt aus dem digitalen Chaos und ihn in den richtigen Kontext setzt. Ein digitales Kollektiv für Journalisten – der Einzelne profitiert von der Gruppe.

Ein klarer Vorteil also auch für Verwerter bzw. potenzielle Auftraggeber, die Journalisten mit Fachkompetenz suchen, sei es kurz- mittel- oder langfristig?

Ganz klar ja. Auch die Ebene der Verwerter wird immer vielschichtiger und muss zusehends damit zurecht kommen, nicht für alles einen Experten im eigenen Haus sitzen zu haben. Expertise hat viele Gesichter – von der jahrelangen Befassung mit einem Thema bis hin zu schieren Anwesenheit an einem bestimmten Ort. Sie zu finden wird immer schwieriger und immer notwendiger – dadurch, dass viele mitmachen bei torial, entsteht eben eine Quelle und der einzelne, digitale Auftritt kommt raus aus der verhältnismäßigen Anonymität des Netzes und hinein in den richtigen Kontext. Da wo dann eben auch Verwerter mit einem angemessenen Aufwand suchen können: torial.com

Somit versteht sich „torial“ also auch als Brückenschlag von Verlagen zu Journalisten und zwar in Zeiten, die sowohl für Medien als auch für Journalisten in Hinblick auf vielfältige Erfordernisse zu Neuausrichtungen durchaus schwierig sind?

Ja. Wir antizipieren bei torial eine Entwicklung, die aber bereits eingesetzt hat und wirkt.
Die großen Marken haben vielleicht noch genug interne Redaktionskraft und ihre analogen Netzwerke sind groß genug, so dass sie noch keinen echten Veränderungsbedarf spüren. Für kleinere Verwerter oder Nischenformate wird es schneller relevant, eben spontan genau die Expertise zu finden, die gerade benötigt wird.

Entscheidend ist, dass das Netz defacto die Möglichkeiten dafür schafft, kurze Wege zu nutzen und schnell und zielgenau Informationen zu bündeln, kompetente Kommentatoren anzusprechen, räumlich und thematisch involvierte Personen zu befragen, zeitlich begrenzt kooperativ zu arbeiten und so aktuelle Ereignisse hochwertig zu reflektieren. Jetzt passieren solche Dinge häufig noch im “Experiment” oder einfach aus Geldknappheit. Aber was, wenn klar wird, dass so einfach die besseren, spannenderen journalistischen Produkte entstehen?
Und: ja, es sind schwierige Zeiten, einfach weil extrem viel Veränderung auf eine extrem kurze Sequenz fällt. Es mag helfen, sich auf das zu besinnen, was gleich bleibt und es ist noch lange nicht ausgemacht, dass die Situation für Journalisten oder Medien schlechter sein wird, als zuvor.

Noch Fragen? Marcus v. Jordan steht als Ansprechpartner bereit (Foto: M.v.J.)

Noch Fragen? Marcus v. Jordan steht als Ansprechpartner bereit (Foto: M.v.J.)

Niemals zuvor konnten Medien derart vielfältig, unterhaltsam, investigativ und abwechslungsreich um Leser (Nutzer) werben wie in diesen Zeiten. torial könnte damit zum hilfreichen Unterstützer werden, damit diese Ressourcen auch tatsächlich ausgereizt werden – sowohl von großen als auch von kleinen Verwertern?

Ich bemühe mal eine Metapher: Stellen Sie sich einen deutschen Bauern im Jahr 682 n.Ch. vor, der plötzlich auf eine fruchtbare Südseeinsel versetzt wird. Fast alles ist besser dort – er braucht keine dicke Kleidung, das Meer ist voll, die Bäume voller Früchte und es gibt auch keinen bösen Lehensherr mehr. Aber natürlich wäre er im Stress, weil alles neu ist und er sich nicht zurechtfinden kann. Man wird ihm nicht helfen, wenn man ihm immer noch eine Neuigkeit vorstellt und ihn immer nur rumführt und auf ihn einbrüllt. torial zeigt ihm erstmal eine Höhle und einen Aussichtspunkt, stellt ihm die anderen Bewohner vor und hilft ihm die Sprache zu lernen.
Wir wollen das Basislager sein, der Treffpunkt und vielleicht auch der Marktplatz. Und ja, das brauchen alle.

Wie erfahren Verwerter denn von torial?

Jetzt noch, weil wir sie ansprechen. Wir tun das auch, weil wir von ihnen das Einverständnis bzw. die Zusage brauchen, dass sie es billigen, wenn ihre Autoren lizensierte Inhalte für die Eigenwerbung bei torial nutzen. Die erste Kooperationszusage haben wir von Handelsblatt Online bekommen – wir waren aber auch schon bei SZ, Spiegel, Springer, taz und Brandeins. Alles Marken, deren Autoren und Inhalte eben auch schon auf torial zu finden sind. Man muss aber auch klar sagen: die großen Marken werden nicht ab morgen ihre Freien auf torial suchen. Sicherlich sind es kleinere Verlage, Nischenprodukte und corporate publishers, die zu erst zu uns kommen. Das ficht uns aber nicht an, denn erstens werden wir mit jedem neuen Nutzer interessanter für alle Verwerter und zweitens ist die beste Quelle für einen Journalisten immer noch ein anderer Journalist – und da den geeigneten Ansprechpartner zu finden, das funktioniert jetzt schon bei torial.

Hinter torial steht ein professionelles Team. Welche Arbeiten werden hinter den Kulissen gemeistert und welchen Aufgabenbereichen widmen Sie sich jetzt und künftig?

torial arbeitet mit einem eigenen Entwicklerteam, mit Designer und Konzepter. Idee, Informationsarchitektur, Design und technische Umsetzung – alles selbstgemacht! Ich persönlich bin der “Außenminister” bei torial und habe sozusagen den praktischen Bedarf in das Team getragen. Jetzt verfolge ich jeden Journalisten im Lande so lange, bis er bei torial mitmacht! Nach unserem Umstieg in die Gemeinnützigkeit, werde ich der Geschäftsführer sein.

Stichwort Gemeinnützigkeit: Welche Bedeutung hat das für Nutzer bzw. Journalisten der Plattform?

Unser Weg geht zur Gemeinnützigkeit und ich denke, dass freier und engagierter Journalismus wichtig genug ist, dass er in einer Zeit des Umbruchs zumindest teilweise aus dem permanenten, kapitalistischen Selbstbeweis herausgenommen werden darf. Aber natürlich sind die Projekte und Konzepte, die im neuen Umfeld schon wirtschaftlich voll tragfähig sind extrem wertvoll! Freies Unternehmertum ist Garant für engagierte Arbeit und auch Vielfalt und Unabhängigkeit.
torial will das große Rad langsam drehen – d.h. wir wollen letztlich systemrelevant sein. Eben der beschriebene Raum für Journalisten, das Drehkreuz, die Kontaktbörse, die Community – wie auch immer. Ich bin sicher, das das nur geht, wenn wir transparent sind und frei von den wirtschaftlichen Interessen einzelner.

Wie viele Journalisten nutzen das Portal inzwischen?

Aktuell benutzen fast 2.000 Journalisten torial. Wir wachsen langsam, aber auf hohem Niveau und haben viele interessante und aktive User. Für torial ist auch in Zukunft die Qualität wichtiger als rasantes Wachstum.

Anmelden und mitmachen: wwww.torial.de

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Ex-”Stern”-Reporter Gerd Heidemann: “Journalisten sind immer nur so gut wie ihre letzte Geschichte” (4/4)

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Foto: Gerd Heidemann

Foto: Gerd Heidemann

Ex-”Stern”-Reporter Gerd Heidemann, der in den 1950er Jahren als freier Fotoreporter begann und fast drei Jahrzehnte für das Nachrichtenmagzin “Stern” tätig war, fasste nach dem Desaster um die Hitler-Tagebücher bis auf wenige, einzelne Aufträge als Freier Journalist beruflich nie wieder Fuß.

Im letzten Teil unseres vierteiligen Interviews erzählt Gerd Heidemann, womit er sich seit dem Medienskandal befasst, welche Pläne er derzeit hegt und was er vom heutigen Journalismus hält.

Nach dem Mega-Flop mit den gefälschten Hitler-Tagebüchern, der als einer der größten Medienskandale in die deutsche Geschichte einging, gab es für Ihr Leben eine tiefe Zäsur. Hat sie niemals mehr ein Verlag gefragt, ob sie wieder als Reporter tätig werden wollen? Oder haben Sie von sich aus damals sofort einen beruflichen Schlußstrich gezogen?

Nach der Tagebuch-Pleite war ich erst noch eine zeitlang als freier Journalist tätig und arbeitete für einen befreundeten Pressefotografen und auch für “BILD”. Außerdem lieferte ich dem „SPIEGEL“ und anderen Blättern Fotos aus meinem zeitgeschichtlichen Fotoarchiv.

Für die Hamburger Kriminalpolizei konnte ich einen Fall lösen und dafür eine sehr hohe Belohnung einstreichen. Um eine Festanstellung habe ich mich allerdings nie mehr bemüht. Wegen meiner Schulden beim Finanzamt, den Rechtsanwälten, der Gerichtskasse und den Werften wäre mir dann auch kaum etwas von meinem Gehalt geblieben.
 

Alle Fotorechte:
Gerd Heidemann; Animation: U. Pidun/SPREEZ.

Womit haben Sie sich dann in den vergangenen Jahrzehnten beschäftigt und was tun Sie heute? 

Meine Hauptarbeit gilt seit vielen Jahren und bis heute meinem historischen und zeitgeschichtlichen Archiv, das immer mehr Studenten, Historiker und Journalisten in Anspruch nehmen. Ich hatte mir nach dem Erlebnis mit den falschen Tagebüchern vorgenommen, niemals wieder auf Fälschungen hereinzufallen. Darum versuchte ich, mit Dokumenten und Fotos fast jeden Tag der jüngsten Geschichte zu dokumentieren. So umfasst das Archiv heute über 7000 Ringordner mit über hunderttausend Fotos und sicher mehr als eine Million Dokumente.

Gerd HeidemannWenn Sie heute Nachrichtenmagazine lesen – print und/oder online – was geht Ihnen durch den Kopf? Hat der Journalismus an substantiellen Inhalten gewonnen oder befindet er sich auf dem direkten Weg in die Selbstzertrümmerung?

Von dem heutigen Journalismus halte ich nicht mehr viel. Ich weiß ja am Besten, welche Lügen diese Schreiberlinge über mich verbreitet haben. Mir wurde von solchen Leuten sogar vorgeworfen, ich hätte die damalige “Stern”-Veröffentlichung dazu benutzt, den Nationalsozialismus zu rechtfertigen.

In Wirklichkeit hatte ich mit der Veröffentlichung der Geschichte über die Tagebücher gar nichts zu tun, bekam den Artikel vor dem Druck nicht einmal zu lesen. Es wurde immer so berichtet, als würde ein Reporter entscheiden, welche Serie im Stern erscheinen würde. Aber das ist doch wohl Entscheidung der Chefredaktion. Früher hieß es: “Es waren einmal zwei Redakteure, die hatten nur eine Schere. Der andere, aus Not getrieben, hat endlich was geschrieben.” Das bezog sich darauf, dass man sich die Agenturmeldungen für das Layout der Zeitung zurecht schnippelte.

 

Alle Fotorechte:
Gerd Heidemann; Animation: U. Pidun/SPREEZ.

 

Gerd Heidemann

Journalisten sind immer nur so gut wie ihre letzte Geschichte. Das betrifft ja nicht nur mich. Doch heute holen sich die Reporter und Redakteure ihre Informationen hauptsächlich aus dem Internet und übernehmen dabei alle Fehler und Lügen ihrer lieben Kollegen.

Es gibt nur noch wenige Journalisten in Deutschland, die fähig zu guten Recherchen sind. Man kann sie an einer Hand abzählen und im jugendlichen Alter sind sie auch nicht mehr. Wenn an den Journalistenschulen nicht mehr Wert auf gute Ausbildung auf diesem Gebiet gelegt wird, sehe ich schwarz.

Da ich aber inzwischen kaum noch Magazine und Illustrierte lese, kann ich letztendlich nicht gut beurteilen, ob diese Blätter an substantiellen Inhalten gewonnen oder verloren und damit neben dem Internet und Fernsehen noch eine Zukunft haben.

Das Gespräch führte Ursula Pidun
Alle Fotorechte: Gerd Heidemann;
Fotobearbeitung und Flashanimationen: up/SPREEZEITUNG.de

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“Krieg der Scheinheiligkeit”– Im Gespräch mit Prof. Dr. Thomas Druyen

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Im Angesicht gesellschaftlicher, politischer sowie finanz- und marktrelevanter Fehlentwicklungen ermutigt Prof. Dr. Thomas Druyen in seiner Ende 2012 im MAXLIN Verlag erschienen Buch “Krieg der Scheinheligkeit“dazu, den Schleier der stark verbreiteten Scheinheiligkeit zu zerreißen. Auf seinem spannend und sehr informativ gezeichneten Weg dorthin entpuppt sich diese allzeit präsente Scheinheiligkeit als Geißel und “größte Blase des 21. Jahrhunderts”. Gewinnen Mut und Verantwortung am Ende die Oberhand, so bleibt auch der Weg hin zur “Konkretethik”  nicht weiter versperrt. Nachgefragt. Im Gespräch mit Prof. Dr. Thomas Druyen

Herr Prof. Druyen, Sie haben Ihre Publikation “Krieg der Scheinheiligkeit” den “Treuen und Authentischen” unter uns gewidmet. Sterben Eigenschaften wie etwa Geradlinigkeit und Glaubwürdigkeit Ihrer Ansicht nach zunehmend aus?

Prof. Dr. Thomas Druyen (Fotos: Markus Feger)

Prof. Dr. Thomas Druyen (Fotos: Markus Feger)

Tugenden und Werte sind sicherlich weiterhin vorhanden. Aber es wird immer schwieriger, sie umzusetzen und durchzuhalten. Allein die Aufrichtigkeit stößt an ihre Grenzen, solange politische und ökonomische Interessen, Geldwahn und Vorteilswahrung die Gesellschaften dominieren.

Wo nur der Erfolg und der Selbstnutzen im Vordergrund stehen, sind Werte leider eher Sand im Getriebe. Diese Struktur führt zwangsläufig zur Heuchelei.

Mit Ihrem Buch sprechen Sie die Scheinheiligkeit an, die sich praktisch wie eine Seuche verbreitet.

Die Vortäuschung falscher Tatsachen ist zu einem Grundmuster der öffentlichen Kommunikation geworden. Das  Spektrum reicht von harmloser Beschönigung, Hochstapelei, Amtsmissbrauch bis hin zur vorsätzlichen Verschleierung von Finanzkrisen, Waffenhandel und Parallelwelten. Ob Dopingskandale, Korruptionsaffären oder despotisches Herrschaftsgebahren, solange der Zweck die Mittel heiligt, hat der Schein als systemischer Deckmantel Hochkonjunktur. Nehmen wir nur die vielen Skandale und Skandälchen der letzten zwölf Monate – und da hat jeder Leser sofort viele Bilder im Kopf – spüren wir die Krake der Scheinheiligkeit. Dies betrifft aber nur bekannt gewordene Entlarvungen.  Es liegt in der Natur der Scheinheiligkeit Nebelkerzen zu werfen und Ablenkungsmanöver zu starten. Daher ist uns der Großteil dieser manipulativen Strategie gar nicht bewusst. Und genau das macht sie zum Virus und zum Gift.

Worin liegen die Ursachen und warum verstärkt sich dieser Trend zunehmend?

Sicher nicht, weil der Mensch an sich schlechter geworden ist. Aber seine Verführbarkeit ist enorm gewachsen, weil jene, die sich weltweit vor allem in einem wohlhabenden Umfeld befinden, immer stärker von äußeren Statuszielen anlocken lassen. Diese individuelle und kollektive Blendung hat ihre Ursache in einer fast religiösen Aufwertung von Geld, Erfolg und Wachstum. Drei zentrale Scheinheiligkeiten dokumentieren wie weit sich Illusion und Wirklichkeit schon voneinander verabschiedet haben: Erstens wird zwar von einer Weltgesellschaft mit sieben Milliarden Menschen gesprochen, aber de facto haben höchstens zwei Milliarden Zugang zu dieser Lebensqualität.

Zweitens erzielt die Realwirtschaft nur ein Viertel jener Umsätze, die der Finanzsektor erreicht. Das bedeutet, dass nur ein winziger Teil von Banken, Unternehmen und Netzwerken noch in der Lage ist, gewinnbringend am großen Spiel teilzunehmen. Und drittens leben zwar alle Nationen im 21. Jahrhundert, aber ihre kulturellen, religiösen, sozialen, politischen und ökonomischen Entwicklungsstufen sind teilweise Jahrhunderte voneinander entfernt. Insofern ist es eine lächerliche Illusion von einer souveränen Weltpolitik zu sprechen. Vor diesem Hintergrund unzähliger Unvereinbarkeiten wurde die Scheinheiligkeit zu einem Medium der Macht und der Ohnmacht.

Auch in der Politik nimmt das Phänomen “Scheinheiligkeit” erkennbar zu. Ein gefährliches Unterfangen?

Es ist sicherlich gefährlich und furchteinflößend, wenn die von uns gewählten Repräsentanten die Wirklichkeit nur aus ihrer parteipolitischen Perspektive betrachten. Etwas augenzwinkernd wäre es ja auch nicht ratsam, wenn in der Bundesliga ein Vertreter der Heimmannschaft als Schiedsrichter auftreten würde. Wenn man Politik betreibt, um letztlich Wahlen zu gewinnen, kann man seine Aufgabe nicht mit der nötigen Distanz wahrnehmen. Das politische und kulturelle Management eines Landes muss sich als Vertretung aller verstehen. Wer nur Klientelpolitik betreibt, ist im letzten Jahrhundert stehen geblieben. Bei den vielen chaotischen und kernlosen Botschaften von Politikern aus allen Parteien scheint dies aber genau der Fall zu sein. Viele Vorkommnisse der letzten Monate dokumentieren eindeutig, dass die Scheinheiligkeit in der Politik zu Hause ist.

Wie erklären Sie sich das Phänomen, wenn sich Politiker, die eigentlich vom Volk beauftragt sind, in ihrem Denken, Handeln und in der Entscheidungshaltung extrem verselbständigen und vom eigentlichen Willen des Volkes abwenden?

Dies ist sicherlich keine vorsätzliche Abwendung. Vielmehr entspricht es einer strukturellen und psychologischen Überforderung. Der Raum um eigenständige Politik zu machen, ist sehr eng geworden. Schulden, Finanzkrisen, Währungsprobleme und das Schmieden politischer Allianzen sind ein ständiger Drahtseilakt. Da hat man Angst vor dem großen Wurf und sucht Sicherheit in Detailfragen. Da ist es nicht verwunderlich, dass man um den heißen Brei herumredet. Die Tragik liegt darin, dass die Politik den komplexen Verhältnissen hinterherhinkt ohne sie wirklich noch proaktiv gestalten zu können. Da ist das Verfolgen eigener Interessen zwangsläufig, fast wie ein Weg zur Selbstorientierung.

Sie plädieren dafür, sich wieder mehr dem gesunden Menschenverstand zuzuwenden. Quasi als Notwehr bzw. Waffe gegen die zunehmende Scheinheiligkeit?

Die systemische Scheinheiligkeit ist zurzeit die Antwort und der Ausdruck unserer Ohnmacht.  Niemand weiß genau wie diese globale und voneinander abhängige Welt richtig gestaltet werden soll.  In diesem geistigen Vakuum kann ein gesunder Menschenverstand erste Anhaltspunkte bieten. Demnach ist zum Beispiel jedem klar, dass ein bestimmtes Maß an Verschuldung zum Untergang führt. Dass auch starke Länder nicht alle Probleme der anderen schultern können. Dass jedes System, jede Kultur, jede Firma und jeder Mensch eigene Interesen verfolgt. Wenn wir allein diese drei allen verständlichen Einsichten mit der Wirklichkeit abgleichen, sehen wir sofort, wie weit wir von einem vernünftigen Weg abgekommen sind. Insofern kann ein gesunder Menschenverstand gerade jetzt als Kompass dienen. Aber auch hier ist zu berücksichtigen, den einen gesunden Menschenverstand gibt es nicht – das wäre ja diktatorisch. Wir müssen einen gemeinsamen gesunden Menschenverstand suchen, der ein Mindestmaß an Fairness für alle beinhaltet.

Die aktuelle Euro- bzw. Finanzkrise verursacht in der breiten Bevölkerung eine Ohnmacht, die bedenklich ist. Lassen sich auch hier die Problematiken relativieren, wenn bei jedem einzelnen Bürger der gesunde Menschenverstand deutlicher zum Zuge kommt?

Es ist eher die Ohnmacht der Mächtigen, die die Ohnmacht der Bürger hervorruft. Im alltäglichen Leben ist ein gesunder Menschenverstand ständig aktiv, ohne ihn könnten wir gar nicht überleben. Sehen Sie nur den Straßenverkehr: neben den Regeln ist es der Wille der Einzelnen sich einzufädeln, der das Ganze nicht zum vollkommenen Chaos führt. Als Bürger müssen wir von den Politikern und Konzernlenkern viel mehr Verantwortung fordern als Konzernzahlen, Krisenerläuterungen und scheinheiliges Palaver.

Um zu erfolgreichen Ergebnissen zu kommen, müsste der gesunde Menschenverstand vor allem auch bei den Politikern dominieren. Ist ein solches Zusammenspiel nicht fast aussichtslos angesichts der Abschottung, die Politik ja durchaus praktiziert?

Da gebe ich Ihnen vollkommen Recht. Mit der gegenwärtigen Geistesverfassung  werden die Probleme nur verschärft. Glauben wir Albert Einstein, der sagte, dass man mit der gleichen Art und Weise, mit der Probleme erzeugt wurden, sie nicht lösen kann.  Wir müssen uns verwandeln.

Wer Ihr Buch aufmerksam liest, der erfährt, dass Ihnen der Weg hin zur „Konkrethik“ sehr am Herzen liegt. Was ist im Wesentlichen darunter zu verstehen?

Dies ist meine Vorstellung eines Weges, der zur notwendigen Verwandlung führen könnte. Jahrtausendelang hat uns die Ethik wunderbare Ideale und Anregungen geschenkt. Aber jetzt haben wir keine Zeit mehr. Nun kommt es darauf, was wir konkret daraus machen. Das meine ich ganz skizzenhaft mit Konkrethik. Im Prinzip geht es um die praktische Aufrichtigkeit, mit bestem Gewissen etwas verantwortungsbewusst zu Ende zu bringen und umzusetzen. Konkrethik ist die Verantwortung für die Folgen des eigenen Handelns. Nicht mehr Versprechen und Ankündigungen sind gefragt, sondern definitive Ergebnisse. Wir haben erst dann gelernt, etwas richtig zu machen, wenn wir es richtig gemacht haben. In meinem Buch wird diese Idee anschaulich gemacht.

Sie sind Professor für Vergleichende Vermögenskultur und Vermögenspsychologie an der Sigmund Freud Universität in Wien und haben Millionäre bzw. Milliardäre interviewt. Welche Schlüsse konnten Sie daraus in Hinblick auf „Konkrethik“ bei sehr vermögenden Zeitgenossen ziehen?

Auch die allermeisten Vermögenden wissen, dass die wichtigsten Dinge im Leben mit Geld nicht zu bezahlen sind: Gesundheit, Liebe und Glück. Und ebenso wird den Meisten immer bewusster, dass eine Welt mit einer Handvoll Privilegierter und einem Heer Chancenloser absolut kein Zukunftsmodell sein kann. Insofern ist die Konkrethik ein Modell für alle Menschen, alle Milieus und auch für alle Kulturen.

Wir möchten die Publikation „Krieg der Scheinheiligkeit“ ausdrücklich empfehlen. Fehlentwicklungen und Probleme der Zeit werden schonungslos angesprochen und  durchweg authentisch kommentiert. Darüber hinaus wird der Leser stark einbezogen und aufgefordert, sich in die Denkprozesse einzuklinken. Ein Buch mit sehr viel Mehrwert und gekonnt geschrieben.  Was wünschen Sie sich persönlich im Sinne eines Effekts der Nachhaltigkeit Ihrer Publikation?

Vielen Dank für Ihre Einschätzung und Ihr Kompliment. Nach ebenso ermutigenden Reaktionen von Lesern habe ich die stille Hoffnung, dass es in so viele Hände und Köpfe gerät wie nur möglich. Damit meine ich weder Interessen am Marketing noch an der Person des Autors, sondern an der Chance, dass sich jeder Leser seines eigenen gesunden Menschenverstandes vergewissern kann.

 
Krieg der Scheinheiligkeit

BUCHEMPFEHLUNG:

Krieg der Scheinheiligkeit
Autor: Thomas Druyen

MAXLIN Verlag 288 Seiten

ISBN: 978-3981414141
Preis: 24,90 Euro
Fotos Th. Druyen: Markus Feger
Buchcover: MAXLIN Verlag

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Erster Weltkrieg – 100 Jahre danach!

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HGM

Pressekonferenz mit dem österreichischen Bundesminister für Landesverteidigung und Sport, Gerald Klug (re) und HGM-Direktor Christian Ortner. (Foto: Heeresbild- und Filmstelle)

Am 28. Juni 2014 jährte sich zum 100sten Mal das Gedenken an das Attentat von Sarajevo. An diesem Tag konnte der Erste Weltkriegssaal im Heeresgeschichtlichen Museum(HGM) in Wien durch den Leiter der Sektion I., Sektionschef Mag. Christian Kemperle (BMLVS) und Dr. M. Christian Ortner (Direktor HGM) im Beisein der beiden ehemaligen österreichischen Verteidigungsminister BM a.D. DI Dr. Helmut Krünes und BM a.D. Dr. Werner Fasslabend sowie dem Stellvertretenden Chef des Generalstabes GenLt Mag. Berhard Bair neu eröffnet werden.

Die Ausstellung fokussiert unter anderem auch das Attentat auf das österreichisch-ungarische Thronfolgerpaar Franz Ferdinand und Sophie in Sarajewo. Besucher der neuen und einzigartigen Ausstellung erwartet neben der chronologischen Gliederung der zeitgeschichtlichen Ereignisse rund um den Ersten Weltkrieg insbesondere auch räumliche, zeitliche und thematische Schwerpunkte der Jahre 914 bis 1918. Zudem stehen verschiedene “Querschnitts”-Themen wie etwa “Kriegsbegeisterung & Ausmarsch 1914″, “Verwundung und Tod”, “Pflege und Trauer”, “Frau im Krieg”, “Kriegspropaganda” oder “Kriegserinnerung” im Mittelpunkt.

Viele der in Wien ansässigen ausländischen Botschaften entsandten zur Eröffnung der neuen Ausstellung Ihre Vertreter. Auch der Amtsführende Vorsitzende der Parlamentarischen Bundesheerkommission, Bgrd. Prof. Walter Seledec, war anwesend. Die bei der Eröffnung gezeigten Stummfilme wurden durch zeitgemäße Klaviermusik begleitet. In dem extra für die Eröffnung eingerichteten Feldpostamt konnten Sondermarken und Feldpostkarten zum Attentat sowie zum Ersten Weltkrieg erworben und auch gleich vor Ort weltweit versandt werden. Das Interesse an der Eröffnung war derart groß, das das Museum bis auf den letzten Platz gefüllt war. Wir haben nachgefragt. Im Gespräch mit Mag. Manfred Litscher, Leiter des Fotoateliers und Referent für Öffentlichkeitsarbeit im Heeresgeschichtlichen Museum Wien.

Herr Litscher, aktuell wurde im HGM die Ausstellung “Erster Weltkrieg – 100 Jahre danach!” eröffnet. Wie kam es zu der Überlegung, die bisherige Ausstellung neu zu konzipieren?

HGM

Eingang: Feldherrnhalle des HGM
(Foto: Heeresbild- und Filmstelle)

Der Gedanke einer Neukonzeption kam mit dem Anwachsen der Sammlung. Das Jahr 2014 als Gedenkjahr war natürlich auch bei uns im Heeresgeschichtlichen Museum (HGM) schon seit Jahren ein Thema. Der eigentliche Umbau bzw. die Ausgangsbasis dafür war ein Ideenwettbewerb zu Beginn des Jahres 2012.

Was ist völlig neu und welche Eindrücke erwartet Besucher der neuen Ausstellung?

Völlig neu ist natürlich der Saal selbst. Um die Möglichkeit eine zusätzliche Plattform zu schaffen, wurde 1,80 Meter in die Tiefe gegraben. Durch die Plattform konnte der nutzbare Ausstellungsbereich von 1.000 Quadratmetern auf 1.400 Quadratmetern erweitert werden. Die Objekte werden nüchtern präsentiert und wirken selbst durch ihre “Aura”.

Es ist nun möglich in Form eines Rundganges durch die Ausstellung zu gehen. Dieser Rundgang wurde so konzipiert, dass die Schlüsselobjekte sehr bewusst in einem historisch zusammenhängenden Rahmen stehen. Er endet symbolisch bei Kreuzen. Die ersten zwei Toten von Sarajevo, der Thronfolger Franz Ferdinand und sein Frau Sophie von Hohenberg, werden so den Millionen Menschen, die am Schlachtfeld oder den widrigen Umständen des Krieges zum Opfer gefallen sind, gegenüberstellt.

HGM

Panzerkuppel aus der Festung Przemysl (Foto: Heeresbild- und Filmstelle)

*Anmerkung:Der Durchmesser der Kuppel beträgt 2,47 Meter, die Kuppelhöhe 84 Zentimeter. Die ursprünglich eingebaute 8-Zentimeter-Panzerkanone wurde entfernt. Die Kuppel wurde 1894 von der Firma Skoda in Pilsen hergestellt. Die Deformierung an der Kuppelaußenseite wurde durch einen Treffer einer russischen 28-Zentimeter-Mörsergranate verursacht.

Das HGM verfügt über einen beträchtlichen Sammlungsbestand gerade aus den Jahren 1914 bis 1918. Woher kommen all diese Gegenstände und Unikate der damaligen Zeit?

Aufgrund der Zuweisung von erheblichen Mengen von Objekten musste das Museum mit dem Beginn des Ersten Weltkrieges schon bald für den allgemeinen Besuch geschlossen werden. Eine generelle Schließung des Museums nach 1918 konnte abgewendet werden und man besann sich, der Geschichte eine Chance zu geben. Die Nachkriegsgenerationen sollten eine Möglichkeit erhalten, über diesen Großen Krieg reflektieren zu können. Schenkungen und Nachlässe sowie auch Ankäufe ergänzen die Sammlung zum Ersten Weltkrieg, zu denen auch sehr wertvolle Gemälde zählen. Ein Bild von Egon Schiele oder “Den Namenlosen”, von Albin-Egger Lienz, werden z.B. in der Ausstellung präsentiert.

HGM

Uniform des Thronfolgers Franz-Ferdinand (Foto: Heeresbild- und Filmstelle)

*Anmerkung: Unter der Uniform ist das Canapé zu sehen, auf dem Thronfolger Franz-Ferdinand gestorben ist.

Das HGM präsentiert auch Objekte zum Attentat von Sarajevo. Um was handelt es sich und in welchen Zustand befinden sich die Sammlerstücke?

Im völlig neu gestalteten Sarajevo-Saal – dem Saal, der dem Attentat von Sarajewo gewidmet ist – findet man das Automobil der Marke Gräf & Stift, in dem der Thronfolger Franz Ferdinand und seine Frau, am 28. Juni 1914 ermordet wurden. Das Attentat war ein entscheidendes Puzzle, welches in der Folge den Ersten Weltkrieg auslöste.

Sarajewo

Das blutige Hemd des Thronfolgers
(Foto: Heeresbild- und Filmstelle)

Die Stücke zum Attentat von Sarajevo sind in einem – den Umständen entsprechenden – guten Zustand und können als Schlüsselobjekte zum Ersten Weltkrieg bezeichnet werden. Außer dem Fahrzeug kann der Besucher auch die Uniform und das Canapé, auf dem der Thronfolger starb, besichtigen.

Weitere Ausstellungstücke, wie zum Beispiel drei der Attentatswaffen und Gegenstände aus dem Besitz von Sophie von Hohenberg sind in diesem Saal zu sehen. Gemälde des Thronfolgers und seiner Frau sollen den Besuchern einen Eindruck dieser beiden Persönlichkeiten vermitteln. Sie waren die ersten Toten des Ersten Weltkrieges.

Das HGM präsentiert auch jenseits der Ereignisse um Sarajewo viele Bereiche, die thematisch Bezug auf den Ersten Weltkrieg nehmen. Was zählt hierzu?

Nach dem Verlassen des Sarajevo-Saals wird der Besucher nicht nur über die militärischen Gegebenheiten dieser Zeit aufgeklärt, er erhält auch eine politische Übersicht über die Verhältnisse im Jahr 1914. Da dieser Krieg auch die Zivilbevölkerung stark in Mitleidenschaft zog, wird in der Ausstellung auch das zivile Leid thematisiert. Auch Kinder waren davon nicht ausgeschlossen. Spielsachen die den jungen Menschen auf das Grauen vorbereiten sollten, fanden ihren Weg in die heimatlichen Stuben.

HGM

Der Wagen des Thronfolgerspaares im Original (Foto: Heeresbild- und Filmstelle)

Neben Stücken, die bereits in der Obhut des HGM liegen, konnten auch ganz neue Sammlerstücke erworben werden. Kommen solche seltenen Stücke überwiegend aus privater Hand und wie werden solche Unikate entdeckt?

HGM-Direktor Dr. M. Christian Ortner präsentiert eine der Tatwaffen des Sarajewo-Attentats. (Foto: (Foto: Heeresbild- und Filmstelle)

HGM-Direktor Dr. M. Christian Ortner präsentiert eine der Tatwaffen des Sarajewo-Attentats. (Foto: Heeresbild- und Filmstelle)

Da das HGM international einen guten Ruf genießt, kommt man hier auf uns zu. Objekte mit einer besonderen Vergangenheit sollen auch für die Nachwelt erhalten werden und hier im HGM weiß man sie gut aufgehoben. Durch unsere Mitgliedschaft bei  ICOM (Internationaler Museumsrat) haben wir uns diesbezüglich zu sehr hohen ethischen Vorgaben verpflichtet. Natürlich sind wir selbst auch immer auf der Suche und haben schon das eine oder andere Juwel zutage gefördert.

Bei den neuen Objekten handelt es sich sowohl um Dauerleihgaben als auch um Schenkungen und auch um gekaufte Stücke.

Das HGM wir in der neuen Ausstellung auch bisher nie gezeigte Exponate präsentieren. Was zählt u.a. dazu?

Die Freiwilligen Verbände sind ein oft vernachlässigter Teil dieses Krieges. Im Zuge der Europäischen Union besinnt man sich hier aber wieder auf historische Wurzeln und so konnten wir den Einsatz albanischer, polnischer und ukrainischer “Legionäre” auf Seiten der k.u.k. Streitkräfte in Form von Uniformen, Waffen und persönlichen Gegenständen darstellen.

Das HGM möchte Besucherinnen und Besuchern ein möglichst umfangreiches Bild des damaligen Geschehens bieten. Wie wurde die Ausstellung organsiert, um diesem Anspruch gerecht zu werden?

Bereits 2010 gab es erste Bestrebungen die bestehende Saalgruppe zu überarbeiten. Wie so oft war es nicht leicht, die Mittel dafür zugesagt zu bekommen. Einen Teil der Kosten wurden dem HGM auferlegt. Die Möglichkeit 2014 ein Projekt dieser Größenordnung auf Schiene zu bringen und mit dem sich ankündigenden Gedenkjahr zum Ersten Weltkrieg gut in Einklang zu bringen, schien aussichtsreich. Wie bereits erwähnt wurde 2012 ein Ideenwettbewerb ausgeschrieben, der die Schaffung eines Rundganges als inhaltliche Vorgabe hatte. Diesen Vorgaben wurden mit dem angesprochenen, erheblichen Umbau schließlich entsprochen.

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38 cm Haubitze (Foto: Heeresbild- und Filmstelle)

*Anmerkung: 38 cm-Haubitze mit einer Reichweite von 15 Kilometern und einem Gesamtgewicht von rund 81 Tonnen wurde von den Skoda-Werken in Pilsen in den Jahren 1916 und 1917 gebaut. Im März 1918 kam sie erstmals an die Westfront.

Die Sinne der Besucher und Besucherinnen werden schon beim Betreten des Museum sensibilisiert. Man spürt förmlich, dass man sich hier auf historischen Boden bewegt. Durch die vielen Kontakte zu anderen Museen und wissenschaftlichen Forschungseinrichtungen sowie durch die Mitgliedschaft bei ICOM ist es möglich immer am Puls der Zeit zu bleiben um den Objekten das bestmögliche Umfeld zu bieten. Wir versuchen auch so viele Originale wie möglich auszustellen.

Welche Vorsorge muss getroffen werden, damit solche kostbaren Sammlungen auch künftig gut erhalten bleiben?

Als Mitglied bei ICOM sind wir mit internationalen Museen sehr gut vernetzt. Direktor, HR Dr. Christian Ortner und sein Stellvertreter Dr. Christoph Hatschek sowie ihr Team, sind hier mit den neuesten wissenschaftlichen Errungenschaften in der Museumslandschaft vertraut und am Laufenden. Somit wird dafür Sorge getragen, dass unser Sammlung nach bestem Wissen und Gewissen erweitert und der Nachwelt erhalten werden kann.

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Sammlerstück im Heeresgeschichtlichen Museum in Wien ((Foto: Heeresbild- und Filmstelle)


Wird die Ausstellung dauerhaft präsentiert und welche Öffnungszeiten gibt es?

Die neue Ausstellung zum Ersten Weltkrieg ist eine Dauerausstellung. Das Museum hat bis auf wenige Feiertage täglich von 09.00 bis 17.00 Uhr geöffnet. Wer es einrichten kann, ist gut beraten an einem ersten Sonntag im Monat vorbeizuschauen, denn dann gibt es im HGM freien Eintritt.

*Manfred Litscher, geboren in der Steiermark/Österreich absolvierte eine Ausbildung als Fotograf sowie ein Studium der Kultur- und Sozialanthropologie.. Während der militärischen Ausbildung nahm Litscher an vier Auslandseinsätzen teil. Seit 1999 ist der Experte Leiter des Fotoateliers im Heeresgeschichtlichen Museum in Wien und seit 2010 Referent für Öffentlichkeitsarbeit im HGM.

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“The dimension dissolves every vestige of human individuality”

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The details are simply beyond human imagining. (© H. Wilkes)

The details are simply beyond human imagining. (© H. Wilkes)

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“My goal was and is to reach as many readers as possible so that we shall never forget the way things were or how such things might happen again in another way unless people start thinking seriously and critically and learn the difference between truth and propaganda”.

Dr. Wilkes, your family fled into exile in 1939. Do you remember the mood and incredible circumstances of that period?

No, the only memory that I cannot shake is fear. It has been said that the body remembers what the mind has forgotten, and that children absorb fear with their mother’s milk. Whenever and wherever in the world the bombs start to drop, I panic.

Your new book has just appeared under the title The Worst, however, was the Jew Star: the Fate of my Family. What is the underlying idea of your book and did your research result in new findings?

There is a saying: “Know whence you came, that you may benefit from the experience of those upon whose shoulders you stand.” Until age 60, when I opened a dusty box containing letters from the family who had not survived, I had no idea upon whose shoulders I stood. I grew up on an isolated farm in Canada with parents who refused to speak of the past. I knew very little of how and why we had fled to a land and a life that was so difficult. When I read those letters, it changed everything. All four of my grandparents sprang to life, along with an assortment of beloved uncles and aunts and cousins. I heard their voices, and I knew that I could not simply fold their letters and silence them a second time. They cried out to live and to speak to the world in their own words.

fled from Nazi-Germany into Canadian exile. (©  H. Wilkes)

The family fled from Nazi-Germany into Canadian exile. (© H. Wilkes)

And that is how this book began. The more I saw each person who wrote to us in Canada as an individual with a very different reaction to events that were unfolding in Europe, the more important it became to give voice to each individual. Six million is a number, and it erases every vestige of human individuality. I wanted Canadians to see whom they had lost by closing their doors to the immigration of Jews. Eventually, I also wanted Germans to see whom they had lost, these ordinary people who had once been their schoolmates, their friends and neighbours upon whom at the very least, they had turned their backs.

How do you account for the hatred against Jewry that in Germany eventually led to the greatest crime in human history?

Letter from  a vanished world. (© H. Wilkes)

Letter from a vanished world. (© H. Wilkes)

I am not a historian, and I am not sure how one can determine which is the “greatest” crime in human history. There have been and there continue to be so many horrendous acts ranging from the slaughter of the Armenians to the massacres in Rwanda, from the actions of Stalin and Mao all the way back to Genghis Khan.
The German situation to me personally is appalling because it was deliberate, calculated and carried out by people who were then among the world’s most educated and “civilized.”

I do not believe that Germans are innately evil, and I greatly admire the current generation of Germans who have looked long and hard at the issues that led to the final tragedy.

I think more than any other nation, Germans have learned from the past and taken steps to ensure that the future will not be a repetition of the past. I also agree with authors who point out that it was in part an unfortunate combination of circumstances, and that the degree of anti-Semitism was even greater in other countries.

When people are demoralized, when they are economically deprived, and when they feel that they have no future as was then the case in Germany and is still the situation in parts of the world today, then people will grasp at straws and they will follow any leader who promises them a better life.

The Waldstein-family in the year 1935 (© H. Wilkes)

The Waldstein-family in the year 1935 (© H. Wilkes)

During the Nazi era, anti-Semitism was largely initiated and legitimized by the state. In your opinion, why did so many citizens jump on the bandwagon of hatred and violence? Could millions of opponents have stopped the Nazis?

Humans love easy answers, and many people are happy when they don’t have to think too much for themselves. Nowadays, neuroscientists have demonstrated that what humans believe is often very different from the actual facts. Instead, there is a strong correlation to influences from childhood to social affiliation and to historical circumstances. “Thanks” to the early church fathers, medieval Europe had already learned to condemn the Jews as the killers of Christ. Such beliefs do not vanish overnight. Hitler knew how to develop this distrust of the Jews as “Spawn of the Devil”.

As a lifelong educator, what is more difficult for me to understand is how so many highly educated people jumped on the bandwagon. One of my uncles who briefly survived the war describes with utter astonishment the marvels of technology that found their application in Theresienstadt and Auschwitz. Does every scientist have a responsibility to ask how his new findings will be used? A major question for our generation is what and how we should teach students so that past atrocities will never be repeated in any form.

Do you believe the many protestations by Germans of those days that they knew nothing of the extent of Nazi atrocities?

During the First World War. (© H. Wilkes)

During the First World War. (© H. Wilkes)

No, I do not believe they knew nothing. Too many people were involved in the process, and it was hardly a secret that Hitler was seeking to exterminate the Jews. Some Germans were only involved in knocking on doors at midnight or in herding all Jews like cattle onto the trains. It may be true that they did not ask the destination of the train, but they cannot have escaped knowing that these thousands upon thousands of frightened people were not heading for a happy vacation. Other Germans only drove the train, and did not ask what was in the boxcars, while still others merely directed people to the left of to the right upon arrival at the extermination camps.

At the same time, it may be true that few people were aware of “the full extent of the atrocities because I suspect that few people could have born the truth. The details are simply beyond human imagining. We all like to believe that our group does not commit atrocities and is somehow “better”. We still justify the actions of governments on our behalf, often despite evidence to the contrary. None of us wants to know the full extent of torture deemed necessary in Guantanemo by our American allies. Although that does not make it excusable, it is a human trait to not want to know. For ordinary Germans of the Nazi era, it was easier to imagine their suddenly absent schoolmates and neighbours as having gone to America thant to imagine them being gassed at Auschwitz.

Despite their immeasurable suffering, could your family pardon and can you yourself forgive Germany?

My parents probably did not and could not. “Nie wieder nach Europa” was their invariable comment after the war when friends began to speak of the pleasures of going “home” where good food and great music were readily available.

Waldstein-Generationen (© H. Wilkes)

Waldstein-generations (© H. Wilkes)

For me, the answer is very different. I had grown up in Canada with my own experiences of anti-Semitism, and I had learned that there were good people and bad people in all parts of the world. Once I was old enough to travel, I was repeatedly drawn to Europe and especially to the German-speaking lands where I met more and more people whose kindness and level of understanding astonished me. I am, of course, speaking largely of a new generation, people who themselves were too young to be direct participants, but who have asked the hard questions. And I must stress again and again that in my experience, more than any other nation, Germans have asked these questions and continue to ask them.

With these forgiving words in mind, do you think of certain individuals and encounters in particular?

When I think of a new generation of Germans, I think of those I have met during the research for this book. I picture the young man who took me up the tower in his home town to show me the remains of a concentration camp. Repeatedly he has wrestled with the issue of how his good and caring parents could have acted as they did. I think of strangers who have become my friends, of people who reached out to me with offers of help in translating the book. I think of Germans who welcomed me to their homes as if I were a long-lost cousin, and who have enabled me to put a real face on German kindness. In turn, I have come here to put a real face on being a Jew of German origin, knowing fully that this makes me a Sondervogel, a rare bird in this land where the only Jews are largely recent arrivals from other lands. But my roots are here.

Is the time ripe for significantly more communication, exchange and talk with fellow Jewish citizens and contemporaries?

Absolutely. More and better communication and mutual understanding are crucial. What other way is there to prevent a repetition of the Third Reich and of other historical horrors?

Transport-card from the year 1943 (© H. Wilkes)

Transport-card from the year 1943 (© H. Wilkes)

What do you wish for in particular with regard to the coexistence of Jewish citizens and contemporaries from other religions and cultures?

I personally think a step in the right direction would be to stop categorizing people according to race or religion or even nationality. I am a Jew, but I no more represent all Jews than you represent all Christians- or all atheists or all members of any group. And certainly, no one of you could claim to speak for all Germans. Jews too have many different opinions on every issue, as do all people.

There are good people and not-so-good people to be found in every family. How much more is that the case in a larger group? There are good people and not so good people to be found in Canada and in Germany and in every other land and in every race and in every culture. No one represents me, and I represent no one else. No one is “typical”, and we must all learn to see each other as individuals rather than as members of a group in whom clever politicians can stir up animosity toward all members of some other group.

References:

“Das Schlimmste aber war der Judenstern. Das Schicksal meiner Familie”

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Antisemitismus –“Die Dimension löst jeden Rest menschlicher Individualität auf”

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Die Details der Gräueltaten liegen jenseits der menschlichen Vorstellungskraft. (Foto: H. Wilkes)

Die Details der Gräueltaten liegen jenseits der menschlichen Vorstellungskraft. (Foto: H. Wilkes)

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“Mein Ziel war und bleibt es, so viele Leser wie möglich zu erreichen, damit wir nicht vergessen wie es einmal war und wie es sich in einer anderen Form wieder ereignen könnte, wenn die Menschen nicht frühzeitig ernsthaft und kritisch zu denken anfangen und den Unterschied zwischen Wahrheit und Propaganda lernen”.

Dr. Wilkes, Ihre Familie ist 1939 aus Nazi-Deutschland ins kanadische Exil geflohen. Können Sie selbst sich an die Stimmung und an die unglaublichen Verhältnisse, die damals herrschten, erinnern?

Nein, ich war ein Kind, und alles was blieb ist die Angst. Es heißt, der Körper erinnert sich auch wenn der Kopf vergisst. Kinder saugen mit der Muttermilch die Angst ein. Wann immer und wo auch immer in der Welt die Bomben fallen, gerate ich in Panik.

Aktuell erscheint ein neues Buch von Ihnen mit dem Titel: “Das Schlimmste aber war der Judenstern. Das Schicksal meiner Familie“. Was ist die Idee hinter dem Buch und sind Sie bei Ihren Recherchen auch zu ganz neuen Erkenntnissen gelangt?

Ein Sprichwort sagt: “Sei Dir bewusst, woher Du kommst, damit du von den Erfahrungen der Menschen lernen kannst, auf deren Schultern du stehst”. Bis ich im Alter von 60 Jahren auf eine staubige Schachtel mit Briefen von meiner verstorbenen Familie stieß und sie öffnete, hatte ich keine Ahnung auf wessen Schultern ich stand. Ich wuchs in Kanada auf, als Einzelkind und auf einer isolierten Farm mit Eltern die sich weigerten, von der Vergangenheit zu sprechen. Ich wusste kaum etwas darüber, warum wir in ein fremdes Land geflüchtet waren, das so schwierig erschien.

Aus der Heimat Strobnitz/Horni Stropnice ins Exzil nach Kananda (Foto: H. Wilkes)

Aus der Heimat Strobnitz/Horni Stropnice ins Exzil nach Kananda (Foto: H. Wilkes)

Als ich die Briefe las, änderte sich alles. Urplötzlich sprangen vier Großeltern in mein Leben hinein. Dazu Lieblingstanten, Onkel und auch Cousinen und Cousins, mit denen ich einst gespielt habe. Ihre Stimmen klangen in meinen Ohren und ich konnte die Briefe nicht einfach weglegen und diese Stimmen ein zweites Mal verstummen lassen.

Sie riefen förmlich nach dem Leben, diese Stimmen, und sie baten die Welt der Zukunft, ihre Worte zu hören. Und so begann dieses Buch. Je mehr ich jeden, der uns nach Kanada geschrieben hatte, als Individuum mit seiner Einzelreaktion auf die Ereignisse in Europa sah, desto wichtiger wurde es, auch jedem einzelnen Individuum die Stimme wiederzugeben. Ich war mir sicher, dass auch andere Menschen Interesse an diesen Stimmen zeigen würden.

Sechs Millionen – das ist zahlenmäßig eine Dimension, die jede Spur, jeden Überrest der menschlichen Individualität auflöst. Ich wollte den Kanadiern zeigen, wen sie verloren hatten, weil sie auf das Einreiseverbot gegen Juden bestanden. Mit der Zeit wollte ich, dass auch die Deutschen sehen, wen sie verloren haben – ihre Schulkameraden, Freunde und Nachbarn, denen sie zumindest den Rücken gekehrt hatten.

Wie erklären Sie sich den Hass auf das Judentum der in Deutschland schließlich zu den wohl größten Verbrechen der Menschheitsgeschichte führte?

Zeilen aus einer verschwundenen Welt (Foto: H. Wilkes)

Zeilen aus einer verschwundenen Welt
(Foto: H. Wilkes)

Ich bin keine Historikerin und ich weiß nicht was man alles auf die Waage legen soll, um herauszufiltern, welches das größte Verbrechen war. Von Genghis Khan bis zu Stalin und Mao, und leider bis zum heutigen Tag werden Gräueltaten fortgesetzt. Für mich persönlich ist das deutsche Verbrechen doppelt abscheulich, weil es bewusst und vorsätzlich geplant und ausgeführt wurde von Menschen, die damals zu den hochgebildetsten der Welt zählten.

Ich glaube aber nicht, dass die Deutschen von Natur aus bösartig sind und ich schaue mit großem Respekt auf die folgende Generation, die sich gründlich mit den tragischen Fragen der Kriegszeit beschäftigt und viel darüber studiert und nachgedacht hat. Ich glaube, dass Deutschland – mehr als jedes andere Land auf der Welt – aus der Vergangenheit gelernt und Schritte gemacht hat, um der Weltgemeinschaft glaubhaft zu vermitteln, dass es in der Zukunft nie eine Wiederholung der Vergangenheit geben wird.

Ich stimme auch Historikern zu, die behaupten, dass es damals teilweise zu einem unglücklichen Zusammenspiel der Verhältnisse gekommen ist und dass Antisemitismus in anderen Ländern noch deutlicher zu spüren war, als in Deutschland. Wenn Menschen demoralisiert und wirtschaftlich benachteiligt sind, wenn sie glauben keine Zukunft zu haben, wie dies damals nach dem Ersten Weltkrieg der Fall war und auch heute noch in vielen Teilen der Welt der Fall ist, dann greifen sie nach dem Strohhalm und folgen jedem Führer der ihnen Hoffnung auf ein besseres Leben verspricht.

Familie Waldstein im Jahre 1935 (Foto: H. Wilkes)

Familie Waldstein im Jahre 1935 (Foto: H. Wilkes)

Antisemitismus wurde zu Nazi-Zeiten weitgehend vom Staat initiiert und damit legitimiert. Warum sind aus Ihrer Sicht so viele Bürger auf die Spirale des Hasses und der Gewalt aufgesprungen? Millionenfache Gegenwehr hätte die Nazis stoppen können?

Die Menschen lieben leichte Antworten und viele sind auch froh, wenn sie nicht zu viel selbständig nachdenken müssen. Heutzutage beweisen Neurowissenschaftler, dass das, was die Menschen glauben, fast nichts mit den Tatsachen zu tun hat. Stattdessen besteht eine starke Korrelation zu Einflüssen, denen die Menschen in der Kindheit ausgesetzt waren, wie etwa der sozialen Zugehörigkeit und den historischen Umständen. “Dank” der frühen Kirchenväter hat ganz Europa zudem schon im Mittelalter gelernt, die Juden als Töter Christi zu verachten. Hitler verstand es, dieses Misstrauen auszubauen und Juden als “Brut des Teufels” zu bezeichnen.

Als Lehrerin, die sich nicht nur für die Ausbildung der Jugend sondern für das lebenslange Lernen interessiert, ist es für mich nur schwer zu verstehen, warum so viele kultivierte Menschen auf die Spirale des Hasses aufgesprungen sind. Einer meiner Onkel, der den Krieg nur kurz überlebte, schrieb einen Brief voll Erstaunen über die Wunder der Wissenschaft und der Technologie, die ihre Anwendung in Theresienstadt und Auschwitz fanden. Hat nicht jeder Wissenschaftler die Verantwortung zu fragen, wozu seine Erfindungen gebraucht werden? Müssen sich heute nicht alle gewissenhaften Lehrer und Eltern fragen, wie man eine neue Generation erziehen kann, die sich weigern würde, solche Grausamkeiten durchzuführen?

Glauben Sie an die vielen Beteuerungen Deutscher der damaligen Zeit, sie hätten von den Gräueltaten der Nazis bzw. deren Ausmaße nichts gewusst?

Im Ersten Weltkrieg (Foto: H. Wilkes)

Im Ersten Weltkrieg (Foto: H. Wilkes)

Dass sie nichts wussten, glaube ich nicht. Zu viele Menschen waren in den damals stattgefunden Prozess eingebunden und dass Hitler eine judenreine Welt wollte, war kaum ein Geheimnis. Manche Menschen waren in dem Maße verwickelt, dass sie um Mitternacht an die Türen klopften und Juden wie Vieh in die Züge trieben.

Es mag sein, dass sie nicht fragten, wohin die Züge denn fahren. Aber sie konnten unmöglich glauben, dass Tausende derart verängstigter Menschen in fröhliche Sommerferien fuhren.

Andere waren “nur” Zugführer und haben nicht gefragt, was sie dort in den Waggons über das Land zogen. Wieder andere zeigten nur nach links oder rechts, als die Juden dann in die Konzentrationslager kamen.

Andererseits mag es wohl wahr sein, dass nur wenige Deutsche ein Bild vom dem wahren Ausmaß der Gräueltaten hatten. Ich glaube nicht, dass normale Menschen Wahrheiten dieser Form dulden können. Die Details der Gräueltaten liegen einfach jenseits der menschlichen Vorstellungskraft.

Wir alle glauben, dass “unsere” Gesellschaftsgruppe nicht fähig ist, Gräueltaten auszuüben. Und wir glauben irgendwie moralisch besser zu sein, als andere. Vieles von dem, was geschieht, wollen wir einfach nicht wissen, besonders wenn es unsere eigene Regierung oder die Regierung eines verbündeten Landes tut. Keiner will beispielsweise heute die genauen Ausmaße der Quälereien in Guantánamo wissen. Es entschuldigt nichts, aber es ist vielleicht auch menschlich, nicht alles wissen zu wollen. Für die Deutschen der damaliger Zeit war es bestimmt angenehmer zu glauben, ihre plötzlich verschwundenen Schulkameraden und Nachbarn seien nach Amerika gereist, als sich vorzustellen, dass man sie in Auschwitz vergast hat.

Konnte Ihre Familie trotz unermesslichem Leid verzeihen und können Sie selbst Deutschland vergeben?

Meine Eltern wahrscheinlich nicht. Als manche Leute nach dem Krieg anfingen, ein wenig zu reisen und vom guten Essen und der schönen Musik und der Landschaft  ”drüben” zu sprechen, sagten meine Eltern immer wieder dasselbe: “Nie wieder nach Europa!”.

Waldstein-Generationen  (Foto: H. Wilkes)

Waldstein-Generationen (Foto: H. Wilkes)

Für mich ist die Antwort ganz anders. Ich hatte in Kanada meine Erfahrungen von Antisemitismus erlebt und habe gelernt, dass es überall auf der Welt gute Menschen und nicht so gute Menschen gibt. Sobald ich alt genug war um zu reisen, zog mich immer Europa an, und besonders die deutschsprechenden Länder. Dort habe ich immer mehr Menschen kennengelernt, deren Liebenswürdigkeit und Verständnis mich erstaunten.

Ich spreche natürlich hauptsächlich von einer neuen Generation, Menschen, die “damals” noch jung oder noch gar nicht geboren waren und die sich mit denselben Fragen beschäftigten, die auch mich bewegten.

Ich will auch betonen, dass sich gerade in Deutschland mehr Menschen als in jedem anderem Land noch immer verurteilen und sich mit schwerwiegenden Fragen beschäftigen. Dies rechne ich ihnen hoch an.

Denken Sie in Hinblick auf Ihre versöhnlichen Worte an ganz bestimmte Personen und Begegnungen?

Ich denke dabei an die vielen Leute, die ich während meinen Forschungen kennen gelernt habe. Der junge Mann, der mich die Treppen hinauf in einem Turm in seiner Heimatstadt führte, um mir die Reste eines Lagers zu zeigen. Immer wieder fragte er sich, wie seine ansonsten so sehr braven und würdigen Eltern diese Schande vor ihrer Türe ignorieren konnten. Ich denke an die vielen Fremden, die heute zu meinen Freunden gehören. Menschen, die mir nicht nur mit dem Buch geholfen haben, sondern mich in ihr Haus eingeladen und wie ein Familienmitglied betrachtet haben. Sie alle haben geholfen, die Deutschen aus einer anderen Perspektive zu sehen.
Und ich komme teilweise auch nach Deutschland, um eine neue Sichtweise mitzubringen. Ich wurde als Jüdin deutschen Ursprungs vertrieben, wohlwissend das mich dies zu einem “rar bird”, also sozusagen zu einem “besonderen Vogel” macht. Die meisten Juden in Deutschland sind erst lange nach dem Krieg von “anderswo” hergekommen. Ich aber habe hier meine Wurzeln.

Ist die Zeit reif, für deutlich mehr Kommunikation, Austausch und Gespräche mit jüdischen Mitbürgern und Zeitgenossen?

Unbedingt. Mehr und bessere Kommunikation und ein gemeinsames Verständnis sind ausschlaggebend. Gibt es einen anderen Weg, eine Wiederkehr des Dritten Reiches und anderer historischen Abscheulichkeiten zu vermeiden?

Transportkarte aus dem Jahre 1943 (Foto: H. Wilkes)

Transportkarte aus dem Jahre 1943 (Foto: H. Wilkes)

Was wünschen Sie sich in Hinblick auf das Zusammenleben jüdischer Bürger mit Zeitgenossen anderer Religionen und Kulturen im Besonderen?

Meiner Meinung nach wäre es ein Schritt in die richtige Richtung, wenn wir aufhören würden, die Menschen als Mitglieder einer Rasse, einer Religion, oder sogar als “Volk” eines Landes zu kategorisieren. Ich bin Jüdin, doch das sagt überhaupt nichts über alle anderen Juden aus. Ebenso wenig, wie man einen einzelnen evangelischen oder katholischen oder atheistischen Menschen für “typisch” halten kann. Wie alle Menschen haben Juden verschiedene Meinungen über jedes Thema.

In jeder Familie gibt es gute und nicht so gute Menschen. Das ist eine Wahrheit, die für Kanada genauso gilt, wie für jedes andere Land, jede Rasse und jede Kultur. Keiner ist typisch. Wir alle müssen lernen, jeden einzelnen Mensch als Individuum zu betrachten und nicht nur als Mitglied einer Gruppe, gegen die uns ein schlauer Politiker aufhetzen kann.

Verweise:
“Das Schlimmste aber war der Judenstern. Das Schicksal meiner Familie”.

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“Diskriminierung an Hand von Datenprofilen ist bereits gang und gäbe”

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Der EU-Abgeordnete Jan Philipp Albrecht setzt sich mit allen Mitteln für eine Datenschutzverordnung ein. (Foto:  European Parliament 2013)

Der EU-Abgeordnete Jan Philipp Albrecht setzt sich mit allen Mitteln für eine Datenschutzverordnung ein. (Foto: European Parliament 2013)

Der EU-Abgeordnete und EU-Datenschutzbeauftragte Jan Philipp Albrecht setzt sich angesichts des massiven Datenmissbrauchs mit allen Mitteln für eine Datenschutzverordnung ein. Doch warum ist Datenschutz für jeden einzelnen Bürger so wichtig und wie können die millionenfachen Datenzugriffe eingedämmt werden? Welche Strategien und Maßnahme sind hierzu auf politischer Ebene erforderlich und lässt sich die “Büchse der Pandora” wieder schließen, um Vertrauen zurückzugewinnen? Nachgefragt!

Herr Albrecht, der Datenschutz der Bürger wurde faktisch abgeschafft. Ist das derzeitige Prozedere überhaupt verfassungskonform?

Das müssen wir tatsächlich in Frage stellen. In vielen Fällen gilt für uns heute ein Schutzniveau, das unter den grundrechtlichen Vorgaben des EU-Vertrags und der nationalen Verfassungen steht. Vor allem, weil viele Unternehmen sich nicht wirklich an die Gesetze halten. Sie gehen davon aus, dass es ohnehin niemand bis vor das zuständige Gericht schafft und selbst dann die Strafen denkbar gering ausfallen würden.

Sie kämpfen als EU-Abgeordneter auf europäischer Ebene für mehr Datenschutz bzw. die Rückgewinnung unserer Daten. Welche Mittel stehen Ihnen zur Verfügung und wie aussichtsreich ist das?

Derzeit setze ich mich mit allen Mitteln dafür ein, dass zügig ein einheitliches und durchsetzbares EU-Gesetz zum Datenschutz verabschiedet wird, die neue Datenschutzverordnung. Mit ihr würde es – wenn es nach dem Europäischen Parlament geht, dass dieses Gesetz bereits im März verabschiedet hat – ein einfacheres Klagerecht und schärfere Strafen bei Datenschutzverletzungen geben. Zudem müssten sich alle Unternehmen in Europa an ein und dasselbe europäische Datenschutzrecht halten, was eine ganze Reihe von Schlupflöchern schließt. Doch bislang scheuen einige Regierungen noch den Mut, den Datensammlern endlich einen Riegel vorzuschieben.

Die Büchse der Pandora wurde ja im Namen “unbedingt erforderlicher Sicherheitsmaßnahmen” relativ unbedenklich geöffnet. Vielen Menschen leuchtet die Argumentation „Schutz“ durchaus ein. Gibt es deshalb so relativ wenig Gegenwehr und Protest gegen den massenhaften Datenmissbrauch?

Leider verstehen viele Menschen noch immer nicht, dass sich massenhafte Datensammlung nicht nur negativ auf Verdächtige oder Minderheiten auswirken kann, sondern für jeden einzelnen von uns erhebliche Nachteile und Konsequenzen bringen kann. Diskriminierung an Hand von Datenprofilen ist bereits heute gang und gäbe. Und wer überlegt, dass jede Handlung heute Spuren hinterlässt, wird sein Verhalten ziemlich schnell an den Mainstream anpassen, weil er sonst auffällig oder gar verdächtig für Unternehmen oder Behörden werden könnte.

Die Schleusen für den umfassenden Datenmissbrauch stehen also weit offen. Wie könnten sie wieder geschossen werden?

Richtig, schließen kann man die Tür zum Missbrauch nicht. Aber statt große Schleusen offen zu lassen und gar nicht mehr zu wissen, welche Daten erhoben, weitergegeben und ausgewertet werden, könnten wir dafür sorgen, dass es erheblich weniger personenbezogene Daten sind, die wir hinterlassen und schärfer selber kontrollieren, welche wir davon an wen und zu welchem Zwecke herausgeben. Dazu brauchen wir verständlichere Informationen für den Einzelnen und eine Rückkehr zur expliziten Zustimmung zur Datennutzung.

In Ihrer aktuell erschienen Publikation “Finger weg von unseren Daten – wie wir entmündigt und ausgenommen werden” fordern Sie auch eine digitale Unabhängigkeitserklärung für Europa. Was müssen wir uns darunter vorstellen?

Ich bin überzeugt, dass wir keine Zeit verlieren dürfen und die Schaffung internationaler Regeln selbst in die Hand nehmen müssen. Wer jetzt nicht handelt und eine schärfere Durchsetzung der europäischen Standards erreicht, der wird sich später mit den niedrigeren Standards aus den USA oder gar China begnügen müssen. Als größter Markt der Welt könnte die Europäische Union allerdings eine Führung für hohe Datenschutz- und Sicherheitsstandards übernehmen und dafür sorgen, dass Europa sich unabhängig macht von Systemen und Produkten, die die Überwachung und Entmachtung von Bürgerinnen und Bürgern befördern. Auch wirtschaftlich wäre dies eine große Chance.

Aus einer Vertrauensgesellschaft wird zunehmend eine vollumfängliche Überwachungsgesellschaft. Was sind aus Ihrer Sicht die Gründe, dass Politiker dies so vehement unterstützen und für absolut unverzichtbar halten?

Je offener eine Gesellschaft wird, desto größer ist der Druck auf die Sicherheitsbehörden, vermeintliche Ängste und Unsicherheitsgefühle durch Sicherheitsmaßnahmen auszugleichen. Mit der Globalisierung und der digitalen Vernetzung begann ein wahres Wettrennen um immer neue technische Spielereien, die den Behörden das Gefühl der hellsehenden Kristallkugel geben. Doch die vergangenen Jahre haben immer wieder gezeigt: Eine tatsächlich höhere Sicherheit – etwa niedrigere Kriminalitätsraten oder höhere Aufklärungsquoten – hat es seither nicht gegeben. Die Politik muss endlich die Ursachen bekämpfen, statt an der Überwachungsgesellschaft zu feilen.

Die Wirtschaft sieht sich im Vorteil und schlachtet die Daten der Bürger ebenfalls gnadenlos aus. Dabei wird sie doch selbst Opfer des Datenmissbrauchs, wenn wir beispielsweise an Wirtschaftsspionage denken?

Absolut, und nicht nur bei den Betriebsgeheimnissen fällt dies auf. Oftmals betreiben die Unternehmen ja eigene IT-Systeme und verwalten die Daten anderer Menschen und Unternehmen. Angesichts des mangelnden Datenschutzes und der schlechten IT-Sicherheit können auch sie oft gar nicht mehr sicherstellen, dass die Daten nicht an dritte Unternehmen oder Behörden rechtswidrig weitergeleitet werden. Hier braucht es endlich eine Verantwortung für alle Beteiligten, die von den Datenschutzbehörden und Gerichten notfalls eingefordert werden muss.

Hat der Erfinder des World Wide Web, Tim Berners-Lee, Datenmissbrauch auf einer solchen Ebene damals nicht mit einkalkuliert bzw. die Risiken hierzu schlichtweg unterschätzt?

Soweit ich weiß, hat Berners-Lee selbst bereits deutlich gemacht, dass es besser gewesen wäre, gleich von Beginn an schärfere Datenschutz- und Sicherheitselemente in die Internetstruktur einzubauen. Während damals allerdings aus Kostengründen auf Dinge wie die standardmäßige Verschlüsselung von Internetkommunikation verzichtet wurde, muss dieser Fehler heute so schnell es geht korrigiert werden. Ansonsten wird das Internet zu jenem Überwachungsmonster, das sich auch jemand wie Berners-Lee bei der Erfindung des WWW sicher nicht hätte vorstellen können.

Ein sehr kurzfristiger Wandel in Hinblick auf den Datenschutz ist angesichts der Ausmaße des Missbrauchs sicher nicht zu erwarten. Welche Prognose können Sie hingegen mittel- bzw. langfristig geben?

Es bedarf des schnellen Umdenkens in der Gesellschaft. Behörden, Unternehmen und wir alle müssen den dramatischen Schutzlücken und dem drohenden Kontrollverlust volle Aufmerksamkeit und Bedeutung zukommen lassen. Ansonsten werden uns die Ausmaße über den Kopf wachsen. Die Datenbrille, der vernetzte Körper und die Automatisierung unseres Zusammenlebens stellen uns vor enorme Herausforderungen und können unkontrolliert zu einem schnellen Kollaps bisher sicher geglaubter Grundsätze unserer Demokratien und Rechtstaaten führen. Wir müssen die jetzigen Gesetzgebungsverfahren zu einem Abschluss bringen und gleich die nächsten Schritte angehen.

Lässt sich das Vertrauen überhaupt wieder zurückgewinnen? Es ist schließlich für Bürger nicht leicht zu überprüfen, ob ein sicherer Datenschutz wiederhergestellt wurde.

Ja, das Vertrauen ließe sich dann wieder herstellen, wenn der wachsenden Komplexität der Digitalisierung aller Lebensbereiche eine wachsende Transparenz und Kontrolle eines jeden Einzelnen über diese technischen Vorgänge geboten würde. Weil das aber nicht im Interesse von Sicherheitsbehörden oder IT-Giganten ist, muss die Politik mit gesetzlichen Rahmenbedingungen dafür sorgen, dass dies eintritt. Erst wenn hier mutige und deutliche Schritte erkennbar sind, werden die Bürger Vertrauen fassen, in eine sichere digitale Umgebung und in die Demokratie.

 
*Jan Philipp Albrecht ist Europaabgeordneter der Grünen und Verhandlungsführer des Europäischen Parlaments für die neue EU-Datenschutzgrundverordnung. Nach dem Studium der Rechtswissenschaften in Bremen, Brüssel und Berlin spezialisierte er sich im IT-Recht. Unter anderem arbeitete er am Walter Hallstein-Institut für Europäisches Verfassungsrecht in Berlin und gab Lehrveranstaltungen zur europäischen Rechtsinformatik an der Universität Wien. Jan Philipp Albrecht war maßgeblich an der Zurückweisung des Handelsabkommens ACTA und der Untersuchung zur NSA-Affäre im Europäischen Parlament beteiligt.

Verweise:
“Finger weg von unseren Daten.”

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“Die meisten können mehr aus sich herausholen”

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Carsten Maschmeier
(Fotograf: Nicolay Georgiev; cc by C. Maschmeyer)

Herr Maschmeyer, wer an Erfolg denkt, dem fällt durchaus auch schnell einmal Ihr Name ein. Gibt es eine Formel für Erfolg?

Erfolg gibt es nicht im absoluten Sinne. Jeder Mensch definiert Erfolg für sich selbst. Für einen Sportler heißt Erfolg auf dem Treppchen zu stehen, ein Arzt spricht vom Heilungserfolg bei seinen Patienten, für Studenten ist Erfolg eine erfolgreich bestandene Prüfung, Erfolg kann auch sein, 10 Kilo abzunehmen, wenn man sich dies vorgenommen hat.

Fest steht, Erfolg definiert sich nicht automatisch nach materiellen Werten, deshalb ist das Streben nach Reichtum nicht gleichbedeutend mit dem Weg zu Glück und Erfolg. Jedoch bin ich davon überzeugt, dass man Erfolg erlernen kann und ich bin davon überzeugt, dass die meisten mehr aus sich herausholen können.

Und gibt es auch eine Formel für den praktisch garantierten Misserfolg?

Meine Devise hier lautet: Es gibt keine Erfolgs-Garantie! Aber wenn Sie nicht den Mut haben, es zu probieren, haben Sie eine Misserfolgs-Garantie! Mut ist für mich als Unternehmer einer der zentralen Faktoren, der oft fehlt und weshalb Ideen scheitern.

Den meisten Menschen sind Sie als Gründer der AWD Holding AG bekannt. Neben unglaublichen Erfolgen kam es hier allerdings auch zu Vorwürfen und Kritik. Welches Resümee ziehen Sie persönlich aus den AWD-Zeiten?

Ich bin mit Haut und Haaren Unternehmer und Investor und hatte damals die unabhängige Finanzberatung erfunden. Mein erstes Unternehmen, den AWD -immerhin ein M-DAX Unternehmen- habe ich vor sechs Jahren verkauft, als es in Bezug auf Umsatz, Gewinn und Image hervorragend da stand. Wenn ich gefragt werde, werde ich nicht müde zu erklären, was die Gründe für die heutigen negativen Schlagzeilen sind. Ansonsten schaue ich grundsätzlich nach vorn und konzentriere mich auf meine bestehenden 40 Firmen und Beteiligungen an Unternehmen innerhalb der Maschmeyer Group.

Lassen sich Rückschläge aus Ihrer Sicht so verarbeiten, dass sie am Ende nicht nur bewältigt sondern auch von Nutzen sind?

Absolut, das ist sogar entscheidend, um erfolgreich zu sein. Rückschläge bezeichne ich auch in meinem Buch als „Vorschläge für die Zukunft“. Entscheidend ist hierbei aus Fehlern zu lernen: Die, die selbst erkannt und eingestanden werden: Das steht für Selbstreflektion und Aufrichtigkeit.

Sie investieren gerne in aussichtsreiche Start-Up-Unternehmen. Woran erkennen Sie echtes Potenzial, um nicht auf das falsche Pferd zu setzen?

Ich setze auf mein Gespür für Märkte, Themen und Trends. Außerdem macht es mir Spaß den jungen Unternehmern nicht nur mit Wagniskapital beim Wachsen, sondern auch mit meiner unternehmerischen Erfahrung und meinem Netzwerk zu helfen. Und ich schaue mir die Personen hinter dem Unternehmen genau an. Was sind das für Menschen? Ich sehe schnell, was ich ihnen zutrauen kann oder ob das Team harmoniert. Es gibt kein Investment, bei dem ich mir die handelnden Akteure nicht in mindestens zwei persönlichen Treffen genau anschaue.

Welche Kriterien sollten bei Gründern denn aus Ihrer Sicht unbedingt erfüllt sein, damit eine Unternehmung Aussicht auf Erfolg hat?

Es gibt einen Spruch, der dazu passt: Wer nicht wagt, der nicht gewinnt. Ich meine damit, dass man im Rahmen eines vertretbaren Risikos mutig sein muss, Neues auszuprobieren, alte Wege zu verlassen. Wenn ich das Gefühl habe, dass die Idee zündend ist, der Unternehmer etwas wagt und eine gute Umsetzungskompetenz hat, kommt der Erfolg meist automatisch.

Und wann sollte man die Finger auf jeden Fall von der Sache lassen?

Ich selbst investiere nur in Branchen bzw. Unternehmen, von denen ich mir selbst ein Bild gemacht habe bzw. weiß, wie deren Marktumfeld und Wettbewerb aussehen und welches Potenzial dort liegt. Es müssen die Leute stimmen und das Marktkonzept.

Sie haben jüngst in einen Limousinen-Service investiert. Was hat sie gereizt, um sich gerade hier einzukaufen?

Eine interessante Marktentwicklung: Vor eineinhalb Jahren ist der Limousinen Service Blacklane mit fünf Limousinen in Berlin gestartet. Heute ist der Service in 15 deutschen Städten sowie zehn weiteren europäischen Metropolen verfügbar. Mehr als 1000 Fahrzeuge fahren für Blacklane und im Mai expandierte das Unternehmen sogar in die USA. Diese Entwicklung hat mir gefallen und deshalb habe ich meinen Anteil von 11% auf über 25% erhöht, um diese Expansion weiter voran zu treiben.

Gibt es schon weitere Ideen für Investments in der nahen Zukunft?

Bei unserer Anlageentscheidung gehen wir sehr strategisch und langfristig denkend vor. Wir überlegen: Was wird immer gebraucht? Zum Beispiel die weltweit wertgeschätzte Qualität des deutschen industriellen Mittelstands. Oder: Was ist der Bedarf der Zukunft bzw. welche Trends gibt es? Wir sehen zum Beispiel einen wachsenden Markt für E-Learning, für Medizintechnik und eine ganze Reihe von Internetthemen, die Branchen verändern können.

Wenn Sie drei Wünsche für die Zukunft frei hätten, welche wären es?

Da sehe ich unternehmerische und persönliche Wünsche:

  • Noch mehr Unternehmern mit meiner Erfahrung zur Seite stehen
  • Erfindungen vorantreiben, die vielen Menschen das Leben erleichtern
  • Und über allem stehen natürlich Gesundheit und Wohlergehen meiner Familie

 

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Die Kosten der Finanzkrise werden auf die Allgemeinheit abgewälzt

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Die Ökonomen Marc Friedrich und Matthias Weik halten den "Crash" für die Lösung (Foto: Friedrich & Weik)

Die Ökonomen Marc Friedrich und Matthias Weik halten den “Crash” für die Lösung
(Foto: Friedrich & Weik)

Erfolgsgeschichte in Sachen Finanzkrise schreiben politisch Verantwortliche auch nach Jahren nicht. Im Gegenteil: Kreditschwemme, wahllose Ankäufe von Staatsanleihen und öffentliche Bürgschaften für Unternehmen verschaffen allenfalls Zeit, jedoch keine durchgreifende Lösung. Mehr und mehr übernehmen Steuerzahler das unternehmerische Risiko. Mit ihren Wirtschaftsbüchern “Der größte Raubzug der Geschichte und “Der Crash ist die Lösung”, die inzwischen zu Bestsellern wurden, prangern die Ökonomen Matthias Weik und Marc Friedrich die derzeitigen Kriseninterventionen scharf an. Nachgefragt!

Herr Friedrich, die Finanzkrise wird von Politik und Medien augenblicklich nur randläufig angesprochen. Bedeutet dies Entwarnung auf voller Linie oder findet hinter den Kulissen ein emsiges Trouble-Shooting statt, ohne dass wir so recht darüber informiert werden?

Die Politik will und kann den Bürgern nicht die Wahrheit zumuten – vielleicht auch sich selbst nicht. Die Wahrheit ist: Die Krise ist bei weitem nicht vorbei. Ganz im Gegenteil. Die Welt ist voller Warnungen und Indizien: Seit 2008 wurde lediglich teuer Zeit erkauft auf Kosten der Allgemeinheit. Dies wird immer deutlicher: Die EZB hat die Zinsen auf ein Rekordtief gesenkt und sogar Minuszinsen bei den Bankeinlagen installiert, welche nun von der ersten deutschen Bank schon an die Kunden weitergegeben werden. Zudem kauft sie ABS Pakete und will auch Unternehmensleihen aufkaufen um die Wirtschaft anzukurbeln. In Wirklichkeit sind dies aber nur weitere verdeckte Bankenrettungspakete. Parallel sind die Banken noch größer und noch systemrelevanter geworden. Dies alles sollte jeden warnen.

Worum geht es den politischen Akteuren denn mit ihrer derzeitigen Krisenintervention?

Vor allem geht es den Protagonisten um Machterhalt und Beibehaltung, des für sie lukrativen Status Quo. Bei allen Beruhigungspillen geht es lediglich um teuer erkaufte Zeit, aber im Endeffekt doch nur um einen sinnlosen Zeitgewinn. Würde es eine wirkliche Alternative geben, hätten uns Schäuble und Merkel Lösungen schon längst werbewirksam präsentiert. Wie wir bei der Recherche für unser aktuelles Buch feststellen mussten, gibt es im bestehenden System keine Lösung. Das Problem ist unser falsch gestricktes Geldsystem. Rein mathematisch führt es immer wieder zu Blasen- und Krisenbildungen.

Können Sie das Prinzip der sich dauern erneuernden Blasen- und Krisenbildung näher verdeutlichen?

Die Notenbanken kreieren mit ihrer Niedrigzinspolitik und den ständigen planwirtschaftlichen Maßnahmen komplett verzerrte Märkte. Das viele billige Geld der Notenbanken sucht verzweifelt nach Anlagemöglichkeiten und geht vor allem in die Aktien- und Immobilienmärkte. Diese sind dadurch extrem angestiegen und überteuert. Es entstehen Blasen, die dann durch immer neuere und größere Blasen abgefangen werden müssen. Die Krise entstand durch niedrige Zinsen und billiges Geld und daraus resultierenden Blasenbildungen an den Immobilienmärkten in den USA, Spanien, Irland etc. Nun haben wir historisch niedrige Zinsen und noch nie war mehr ungedecktes Geld im System. Die Brandstifter (Notenbanken) spielen sich dann als Feuerwehr auf und verschlimmbessern alles. Ein extrem krankes und vor allem schädliches Modell.

Kreditschwemme, Ankäufe von Staatsanleihen, öffentliche Bürgschaften und Negativzinsen – hinter all diesen Maßnahmen muss doch irgendeine ganz große Idee stecken. Welcher zündende Gedanke könnte es sein, der legitimiert, dass EU-Bürger immer tiefer in ein bisher nicht vorstellbares Enteignungsprozedere rutschen?

Sehr gerne erklären wir dieses perfide Spiel.
Nichts geschieht ohne Grund. Das Ziel ist schlicht und einfach Zeit zu gewinnen und die Kosten der Krise an die Allgemeinheit abzuwälzen mit Hilfe der finanziellen Repression. Also über Abgaben, Steuern, Gebühren, Inflation und Enteignungen. Warum? Weil es im bestehenden System keine Lösung gibt. Es ist unmöglich Schulden mit Schulden zu bezahlen. Die Akteure passen sich nicht der Realität und den Fakten an sondern möchte die Realität an ihrer dogmatischen und teilweise fanatischen Sichtweisen anpassen. Das kann und das wird nicht funktionieren. Fakt ist, dass unser Geld- und Finanzsystem eine mathematisch begrenzte Lebensdauer hat und diese ist 2008 abgelaufen. Die Verantwortlichen können also nur auf Zeit spielen.

Das erklärt auch die anhaltende Niedrigzinsphase?

Ja, daher die Niedrigzinsphase der EZB und aller anderen Notenbanken, mit der wir alle jetzt schon schleichend enteignet werden und unser Geld immer mehr an Wert verliert. Momentan sprechen wir von ca. 23 Milliarden Euro pro Jahr alleine in Deutschland. Zu den Profiteuren des jetzigen Systems zählt neben der Politik und den Notenbanken die Finanzwelt. Und die hat wahrlich kein Interesse daran, an dem lukrativen Umverteilungssystem, das momentan besteht, etwas zu ändern. Keiner will an dem Ast sägen, auf dem er sich ein gemütliches und sehr weiches Nest gebaut hat.

Dann gibt es aus Ihrer Sicht eine Abhängigkeit zwischen Finanzwelt und Politik, die es so in unserer Demokratie eigentlich nicht geben dürfte?

Das trifft es auf den Punkt. Die ungesunde Abhängigkeit zwischen der Politik, den Staaten und der Finanzindustrie sind der eigentliche Hauptgrund, warum sich nichts verändert hat und verändern wird. Warum? Ganz einfach! Wie finanziert sich der Staat? Über Steuereinnahmen auf der einen Seite und über Schulden (Staatsanleihenverkäufe) auf der anderen Seite. Wer kauft diese Schulden zu 99 Prozent auf? Banken und Versicherungen. Was denken Sie, wer bestimmt wo es lang geht? Der Gläubiger oder der Schuldner? Natürlich der Gläubiger. Ganz nach Napoleon: Die Hand die gibt ist immer über der Hand die nimmt.

Erklärt es damit auch die Stagnation in Sachen Krisenbewältigung? Es herrscht zwar relative Ruhe, aber es wurde kausal im Wesentlichen doch bisher nichts wirklich gelöst.

Genau! Aus den genannten Gründen hat sich seit 2008 nichts verändert, sind die Krisenverursacher die eigentlichen Krisengewinner und können sich aus noch jeder so kriminellen Machenschaft herauskaufen ohne wirkliche Konsequenzen befürchten zu müssen. Deshalb wird es von “oben” keinerlei Veränderung oder wirklichen Wandel geben. Die verantwortlichen Politiker werden alles versuchen um weiterhin auf Zeit zu spielen, um den Status Quo aufrecht zu erhalten, mögen die Aktionen auch noch so irrsinnig und sinnlos sein.

Welche gesamtgesellschaftlichen Konsequenzen werden voraussichtlich daraus resultieren?

Die Kollateralschäden für uns alle werden mit jeder Zeitverzögerung exponentiell steigen. Der Wandel kann nur von uns allen kommen, von unten, von uns Bürgern. Ansonsten werden jene, die das System ausreizen, bis zur Grenze gehen und dann wird leider ein verheerender Crash die Lösung erzwingen. Das sollten wir verhindern und vorab aktiv werden. Agieren ist immer besser als reagieren!

Dieses von Ihnen angesprochene “Spiel auf Zeit” der Verantwortlichen, das die Mitte der Gesellschaft existenziell und im Kern trifft, würde dann bedeuten, dass Politik ihre ureigenen Aufgaben – nämliche die Volksvertretung – nicht oder zumindest nicht ausreichend wahrnimmt?

Die Elite hat sich abgesetzt und dient vor allem sich selbst bzw. die Politik ist der verlängerte Arm der Wirtschaft und ihrer Interessen. Über 70 Prozent der Bürger waren gegen Bankenrettungen und ESM. Es wurde trotzdem durchgesetzt. 90 Prozent der Deutschen wollten Edward Snowden Asyl gewähren. Dem wurde von unserer Politik nicht stattgegeben. Über 60 Prozent sind gegen das Freihandelsabkommen – trotzdem wird es kommen. Viele fühlen sich von Berlin oder Brüssel nicht mehr vertreten. Das ist eine brandgefährliche Entwicklung und gefährdet die Demokratie.

Wie aber soll eine Veränderung “von unten” realisiert werden, wenn sich ein Großteil der Bürger aus Gründen eklatanter Politikverdrossenheit nicht mehr an Wahlen beteiligt?

Ein jeder kann und muss aktiv werden. Wir alle sind Teil des Systems und damit Teil des Problems. Wir alle können aber auch Teil der Lösung sein, wenn wir denn nur wollen und endlich aufstehen! Darum: Raus aus der Lethargie, Sportschau abschalten, Aldi, iPhone, WhatsApp ignorieren, der Konsum-Welt den Rücken zeigen und aktiv werden. Es wird sonst nicht besser. Ganz im Gegenteil. Wie erwähnt, dürfen wir von oben nichts erwarten. Die derzeit Verantwortlichen in Politik, Wirtschaft und Medien haben keinerlei Interesse, grundlegend etwas zu ändern. Der wahre Wandel muss also von den Bürgern selbst kommen.

Was raten Sie also?

Die Erfahrung zeigt ja leider, dass erst eine gewisse Schmerzgrenze erreicht werden muss, damit die Menschen aktiv werden und etwas machen. Meistens benötigt es sogar erst ein katastrophales Ereignis. Doch ein jeder weiß: Vorsorge ist immer besser als Nachsorge. Wir alle haben einen sehr mächtigen Wahlschein: Unser Geld und unsere Zeit! Wir können darüber entscheiden, ob und bei welcher Bank wir unser Geld lassen, welche Unternehmen wir mit unseren Einkäufen unterstützen und welche nicht – und vielleicht sollten wir alle mal in einen Art Käufer – und Generalstreik treten und das Hamsterrad einen Tag lang nicht betreten und somit den Eliten aus Politik und Finanzwelt die Rote Karte zeigen. Wir sind viel mehr. Wir sind viel mächtiger und wir sind das Volk! Mehr denn je! Wir sind systemrelevant!

Generalstreiks sind in Deutschland nicht zulässig, der Abschied von der allgegenwärtigen Lethargie allerdings schon. Wenn hier mehr Bewegung zustande kommen könnte, welche Auswirkungen hätte das mittelfristig in Bezug auf Lösungen der Dauerkrise?

Wir haben dies in unserem Buch in drei einfachen Schritten erklärt wie eine Erstverbesserung sofort hergestellt werden kann: Euro ad acta legen, Souveräne Währungen wieder einführen, diese dann auf- oder abwerten um wettbewerbsfähig zu werden, Schuldenerlass und dann eine Art Marschhallplan wie ihn Deutschland nach 1945 erhalten hat um wieder eine wettbewerbsfähige Industrie und Volkswirtschaft aufzubauen. Nur durch Investitionen entsteht Arbeit, dadurch Steuereinnahmen, Binnenkonsum, Investitionen in die Infrastruktur durch den Staat und schließlich Prosperität für alle.

Benötigt nicht auch unser Geldsystem eine umfassende Strukturänderung?

So ist es! Denn das Grundübel ist tatsächlich unser falsch gestricktes Geldsystem. Hier müssen wir ansetzen, um einen wirklich nachhaltigen Wandel zu erzeugen. Zudem haben wir – und dies ist für ein Buch im Bereich Finanzsektor eher die Ausnahme – im letzten Kapitel beschrieben, dass wir uns wieder auf die wesentlichen Punkte wie Bildung, Moral, Anstand, Demut, Liebe und Vertrauen zurückbesinnen sollten. Erst der Verlust dieser grundlegenden Werte hat die Krisen der letzten Jahre ermöglicht. Wenn wir an dieser Stelle nichts ändern, können wir alles Geld der Welt in die Krisen pumpen, jedoch ohne ein Resultat oder ohne eine Besserung zu sehen. Es ist eine menschliche Krise, der man nicht mit Geld und Zahlen beikommen kann.

Stichpunkt Währung: Der Euro ist ja erst einmal nur eine Gemeinschaftswährung, die allerdings Stärken und Schwächen der verschiedenen EU-Länder offen darlegt. Eine Rückkehr zu nationalen Währungen könnte doch die gigantischen Probleme nicht lösen, die wir mit Banken haben, die nicht ordentlich wirtschaften und nun künstlich von Steuerzahlern am Leben erhalten werden?

Die Rückkehr zu den souveränen Landeswährungen wäre nur ein Zwischenschritt zur Erstverbesserung. Danach müssen ein Schuldenschnitt und ein Aufbauprogramm kommen. Später dann müssen wir ein neues Wertekonzept implementieren und ein gedecktes Geldsystem platzieren. Nur dann kann es langfristig ein stabiles Fundament für die Menschheit geben. Wir alle müssen uns fragen, in was für einer Welt wir in Zukunft leben wollen. Vieles, was für eine funktionierende Zivilisation notwendig ist, wurde in den letzten Jahren auf der Wohlstandsleiter nach oben zurückgelassen und das rächt sich nun bitterlich.

Also kann auch der rigide verordnete Sparkurs für die taumelnden EU-Länder kaum eine wirklich durchgreifende Änderung bewirken?

Selbstverständlich nicht. Der Sparkurs nährt nur die Abwärtsspirale und zerstört die Volkswirtschaften und die Menschen in den Krisenländern. Wir brauchen einen tiefgreifenden und grundlegenden Wandel.

Augenblicklich erscheint die Situation so, also sollte es bei einer rigideren Wirtschaftsunion bleiben, wobei Europa am Ende ein Heer von Billigarbeitern zur Verfügung stellt. Welche Interessen werden denn aus Ihrer Sicht bedient und führt ein solcher Weg tatsächlich zu den “Vereinigten Staaten von Europa”, die wir letztendlich doch anstreben?

Vorab: Europa ist eine tolle Idee aber brauchen wir dazu die EU? Unserer Ansicht nicht. Hier hat man auf die nationalen Wasserköpfe noch einen weiteren Wasserkopf aufgesetzt. Was der Plan ist, ist uns nicht klar, aber er wurde schlecht umgesetzt. Erst eine Währungsunion umzusetzen ohne eine politische zu haben war von Anfang an zum Scheitern verurteilt. Wie diffus alles ist zeigt der Steuerskandal in Luxemburg. Wenn wir nicht einmal die gleichen Steuersätze haben, wie soll das dann jemals funktionieren? Daher wird es wohl auch keine “Vereinigten Staaten von Europa” geben – und wenn dann nur, weil es politisch gegen die Menschen erzwungen wird. Europa ist wundervoll bunt, unterschiedlich in Sprache, Kultur und Tradition. Das macht Europa doch erst aus. Niemals lässt sich dies in einen Einheitsbrei stampfen wenn dann nur kurzfristig bis es wieder aufbricht. Beste Beispiele sind die Sowjetunion und andere erzwungene Staaten. Die Separationsbewegungen in Schottland und Katalonien sind erst der Anfang.

Wovor fürchten Sie sich in Hinblick auf das Modell “Vereinigter Staaten von Europa”?

Vor einer unmenschlichen, bürokratischen Diktatur von oben. Der Dogma- und Fanatismus, der uns aus den Reihen entgegenschlägt, ist schon besorgniserregend.

 

*Matthias Weik und Marc Friedrich schrieben 2012 zusammen den Bestseller ““Der größte Raubzug der Geschichte – warum die Fleißigen immer ärmer und die Reichen immer reicher werden”. Es war das erfolgreichste Wirtschaftsbuch 2013. Seit April 2014 gibt es eine aktualisierte und überarbeitete Taschenbuchausgabe. Mit ihrem zweiten Buch, “Der Crash ist die Lösung – Warum der finale Kollaps kommt und wie Sie Ihr Vermögen retten”, haben sie es bis auf Rang 2 der 10 Spiegel Bestsellerliste geschafft sowie auf Rang 1 im Manager Magazin und Handelsblatt. In ihm haben sie u.a. die EZB Leitzinssenkung und Minuszinsen für die Banken, die Absenkung des Garantiezins bei den Lebensversicherungen sowie den Ausgang der EU-Wahl richtig prognostiziert. Auch einen heftigen Börsencrash haben sie darin in Aussicht gestellt. Seit November 2014 ist das Buch „Der Crash ist die Lösung“ als Hörbuch erhältlich.

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“Die meisten können mehr aus sich herausholen”

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Carsten Maschmeier
(Fotograf: Nicolay Georgiev; cc by C. Maschmeyer)

Herr Maschmeyer, wer an Erfolg denkt, dem fällt durchaus auch schnell einmal Ihr Name ein. Gibt es eine Formel für Erfolg?

Erfolg gibt es nicht im absoluten Sinne. Jeder Mensch definiert Erfolg für sich selbst. Für einen Sportler heißt Erfolg auf dem Treppchen zu stehen, ein Arzt spricht vom Heilungserfolg bei seinen Patienten, für Studenten ist Erfolg eine erfolgreich bestandene Prüfung, Erfolg kann auch sein, 10 Kilo abzunehmen, wenn man sich dies vorgenommen hat.

Fest steht, Erfolg definiert sich nicht automatisch nach materiellen Werten, deshalb ist das Streben nach Reichtum nicht gleichbedeutend mit dem Weg zu Glück und Erfolg. Jedoch bin ich davon überzeugt, dass man Erfolg erlernen kann und ich bin davon überzeugt, dass die meisten mehr aus sich herausholen können.

Und gibt es auch eine Formel für den praktisch garantierten Misserfolg?

Meine Devise hier lautet: Es gibt keine Erfolgs-Garantie! Aber wenn Sie nicht den Mut haben, es zu probieren, haben Sie eine Misserfolgs-Garantie! Mut ist für mich als Unternehmer einer der zentralen Faktoren, der oft fehlt und weshalb Ideen scheitern.

Den meisten Menschen sind Sie als Gründer der AWD Holding AG bekannt. Neben unglaublichen Erfolgen kam es hier allerdings auch zu Vorwürfen und Kritik. Welches Resümee ziehen Sie persönlich aus den AWD-Zeiten?

Ich bin mit Haut und Haaren Unternehmer und Investor und hatte damals die unabhängige Finanzberatung erfunden. Mein erstes Unternehmen, den AWD -immerhin ein M-DAX Unternehmen- habe ich vor sechs Jahren verkauft, als es in Bezug auf Umsatz, Gewinn und Image hervorragend da stand. Wenn ich gefragt werde, werde ich nicht müde zu erklären, was die Gründe für die heutigen negativen Schlagzeilen sind. Ansonsten schaue ich grundsätzlich nach vorn und konzentriere mich auf meine bestehenden 40 Firmen und Beteiligungen an Unternehmen innerhalb der Maschmeyer Group.

Lassen sich Rückschläge aus Ihrer Sicht so verarbeiten, dass sie am Ende nicht nur bewältigt sondern auch von Nutzen sind?

Absolut, das ist sogar entscheidend, um erfolgreich zu sein. Rückschläge bezeichne ich auch in meinem Buch als „Vorschläge für die Zukunft“. Entscheidend ist hierbei aus Fehlern zu lernen: Die, die selbst erkannt und eingestanden werden: Das steht für Selbstreflektion und Aufrichtigkeit.

Sie investieren gerne in aussichtsreiche Start-Up-Unternehmen. Woran erkennen Sie echtes Potenzial, um nicht auf das falsche Pferd zu setzen?

Ich setze auf mein Gespür für Märkte, Themen und Trends. Außerdem macht es mir Spaß den jungen Unternehmern nicht nur mit Wagniskapital beim Wachsen, sondern auch mit meiner unternehmerischen Erfahrung und meinem Netzwerk zu helfen. Und ich schaue mir die Personen hinter dem Unternehmen genau an. Was sind das für Menschen? Ich sehe schnell, was ich ihnen zutrauen kann oder ob das Team harmoniert. Es gibt kein Investment, bei dem ich mir die handelnden Akteure nicht in mindestens zwei persönlichen Treffen genau anschaue.

Welche Kriterien sollten bei Gründern denn aus Ihrer Sicht unbedingt erfüllt sein, damit eine Unternehmung Aussicht auf Erfolg hat?

Es gibt einen Spruch, der dazu passt: Wer nicht wagt, der nicht gewinnt. Ich meine damit, dass man im Rahmen eines vertretbaren Risikos mutig sein muss, Neues auszuprobieren, alte Wege zu verlassen. Wenn ich das Gefühl habe, dass die Idee zündend ist, der Unternehmer etwas wagt und eine gute Umsetzungskompetenz hat, kommt der Erfolg meist automatisch.

Und wann sollte man die Finger auf jeden Fall von der Sache lassen?

Ich selbst investiere nur in Branchen bzw. Unternehmen, von denen ich mir selbst ein Bild gemacht habe bzw. weiß, wie deren Marktumfeld und Wettbewerb aussehen und welches Potenzial dort liegt. Es müssen die Leute stimmen und das Marktkonzept.

Sie haben jüngst in einen Limousinen-Service investiert. Was hat sie gereizt, um sich gerade hier einzukaufen?

Eine interessante Marktentwicklung: Vor eineinhalb Jahren ist der Limousinen Service Blacklane mit fünf Limousinen in Berlin gestartet. Heute ist der Service in 15 deutschen Städten sowie zehn weiteren europäischen Metropolen verfügbar. Mehr als 1000 Fahrzeuge fahren für Blacklane und im Mai expandierte das Unternehmen sogar in die USA. Diese Entwicklung hat mir gefallen und deshalb habe ich meinen Anteil von 11% auf über 25% erhöht, um diese Expansion weiter voran zu treiben.

Gibt es schon weitere Ideen für Investments in der nahen Zukunft?

Bei unserer Anlageentscheidung gehen wir sehr strategisch und langfristig denkend vor. Wir überlegen: Was wird immer gebraucht? Zum Beispiel die weltweit wertgeschätzte Qualität des deutschen industriellen Mittelstands. Oder: Was ist der Bedarf der Zukunft bzw. welche Trends gibt es? Wir sehen zum Beispiel einen wachsenden Markt für E-Learning, für Medizintechnik und eine ganze Reihe von Internetthemen, die Branchen verändern können.

Wenn Sie drei Wünsche für die Zukunft frei hätten, welche wären es?

Da sehe ich unternehmerische und persönliche Wünsche:

  • Noch mehr Unternehmern mit meiner Erfahrung zur Seite stehen
  • Erfindungen vorantreiben, die vielen Menschen das Leben erleichtern
  • Und über allem stehen natürlich Gesundheit und Wohlergehen meiner Familie

 

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Ex-„Stern“-Reporter Gerd Heidemann: „Journalisten sind immer nur so gut wie ihre letzte Geschichte“ (4/4)

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Foto: Gerd Heidemann

Foto: Gerd Heidemann

Ex-„Stern“-Reporter Gerd Heidemann, der in den 1950er Jahren als freier Fotoreporter begann und fast drei Jahrzehnte für das Nachrichtenmagzin „Stern“ tätig war, fasste nach dem Desaster um die Hitler-Tagebücher bis auf wenige, einzelne Aufträge als Freier Journalist beruflich nie wieder Fuß.

Im letzten Teil unseres vierteiligen Interviews erzählt Gerd Heidemann, womit er sich seit dem Medienskandal befasst, welche Pläne er derzeit hegt und was er vom heutigen Journalismus hält.

Nach dem Mega-Flop mit den gefälschten Hitler-Tagebüchern, der als einer der größten Medienskandale in die deutsche Geschichte einging, gab es für Ihr Leben eine tiefe Zäsur. Hat sie niemals mehr ein Verlag gefragt, ob sie wieder als Reporter tätig werden wollen? Oder haben Sie von sich aus damals sofort einen beruflichen Schlußstrich gezogen?

Nach der Tagebuch-Pleite war ich erst noch eine zeitlang als freier Journalist tätig und arbeitete für einen befreundeten Pressefotografen und auch für „BILD“. Außerdem lieferte ich dem „SPIEGEL“ und anderen Blättern Fotos aus meinem zeitgeschichtlichen Fotoarchiv.

Für die Hamburger Kriminalpolizei konnte ich einen Fall lösen und dafür eine sehr hohe Belohnung einstreichen. Um eine Festanstellung habe ich mich allerdings nie mehr bemüht. Wegen meiner Schulden beim Finanzamt, den Rechtsanwälten, der Gerichtskasse und den Werften wäre mir dann auch kaum etwas von meinem Gehalt geblieben.
 

Alle Fotorechte:
Gerd Heidemann; Animation: U. Pidun/SPREEZ.

Womit haben Sie sich dann in den vergangenen Jahrzehnten beschäftigt und was tun Sie heute? 

Meine Hauptarbeit gilt seit vielen Jahren und bis heute meinem historischen und zeitgeschichtlichen Archiv, das immer mehr Studenten, Historiker und Journalisten in Anspruch nehmen. Ich hatte mir nach dem Erlebnis mit den falschen Tagebüchern vorgenommen, niemals wieder auf Fälschungen hereinzufallen. Darum versuchte ich, mit Dokumenten und Fotos fast jeden Tag der jüngsten Geschichte zu dokumentieren. So umfasst das Archiv heute über 7000 Ringordner mit über hunderttausend Fotos und sicher mehr als eine Million Dokumente.

Gerd HeidemannWenn Sie heute Nachrichtenmagazine lesen – print und/oder online – was geht Ihnen durch den Kopf? Hat der Journalismus an substantiellen Inhalten gewonnen oder befindet er sich auf dem direkten Weg in die Selbstzertrümmerung?

Von dem heutigen Journalismus halte ich nicht mehr viel. Ich weiß ja am Besten, welche Lügen diese Schreiberlinge über mich verbreitet haben. Mir wurde von solchen Leuten sogar vorgeworfen, ich hätte die damalige „Stern“-Veröffentlichung dazu benutzt, den Nationalsozialismus zu rechtfertigen.

In Wirklichkeit hatte ich mit der Veröffentlichung der Geschichte über die Tagebücher gar nichts zu tun, bekam den Artikel vor dem Druck nicht einmal zu lesen. Es wurde immer so berichtet, als würde ein Reporter entscheiden, welche Serie im Stern erscheinen würde. Aber das ist doch wohl Entscheidung der Chefredaktion. Früher hieß es: „Es waren einmal zwei Redakteure, die hatten nur eine Schere. Der andere, aus Not getrieben, hat endlich was geschrieben.“ Das bezog sich darauf, dass man sich die Agenturmeldungen für das Layout der Zeitung zurecht schnippelte.

 

Alle Fotorechte:
Gerd Heidemann; Animation: U. Pidun/SPREEZ.

 

Gerd Heidemann

Journalisten sind immer nur so gut wie ihre letzte Geschichte. Das betrifft ja nicht nur mich. Doch heute holen sich die Reporter und Redakteure ihre Informationen hauptsächlich aus dem Internet und übernehmen dabei alle Fehler und Lügen ihrer lieben Kollegen.

Es gibt nur noch wenige Journalisten in Deutschland, die fähig zu guten Recherchen sind. Man kann sie an einer Hand abzählen und im jugendlichen Alter sind sie auch nicht mehr. Wenn an den Journalistenschulen nicht mehr Wert auf gute Ausbildung auf diesem Gebiet gelegt wird, sehe ich schwarz.

Da ich aber inzwischen kaum noch Magazine und Illustrierte lese, kann ich letztendlich nicht gut beurteilen, ob diese Blätter an substantiellen Inhalten gewonnen oder verloren und damit neben dem Internet und Fernsehen noch eine Zukunft haben.

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Das Gespräch führte Ursula Pidun
Alle Fotorechte: Gerd Heidemann;
Fotobearbeitung und Flashanimationen: up/SPREEZEITUNG.de

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Ex-„Stern“-Reporter Gerd Heidemann: NS-Recherchen führten zu Konsequenzen (3/4)

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Gerd Heidemann, der in den 1950er Jahren als freier Fotoreporter begann und 1955 bis 1983 als Reporter für das Nachrichtenmagazin „Stern“ tätig war, befasste sich auch intensiv mit NS-Recherchen und Reportagen über Alt-Nazis. Und zwar so intensiv, dass es zu Spekulationen kam. Heidemann habe – so wurde vermutet – insbesondere in Hinblick auf die vielen Treffen mit Alt-Nazis auf der ehemaligen Yacht Hermann Görings ernsthafte Begeisterung für die NS-Vergangenheit entwickelt. Heidemann hatte die Göring- Yacht erworben und mit großem Aufwand restaurieren lassen. In Teil III unseres vierteiligen Interviews berichtet Gerd Heidemann über brisante Recherchen zu Alt-Nazis, die stets zu ernsthaften Konsequenzen führten.

Einen relativ großen Teil Ihrer Arbeit machten auch NS-Recherchen und Reportagen über Alt-Nazis aus. War das der Grund, sich eigens die Yacht Hermann Görings – die „CARIN II“ – zu kaufen und umfangreich renovieren zu lassen? Oder gab es andere Gründe, warum Sie diese Yacht unbedingt haben wollten?

Foto: Gerd Heidemann

Foto: Gerd Heidemann

Der Kauf der früheren Göring-Yacht hatte eigentlich nichts mit meinen NS-Reportagen und Recherchen zu tun. Zwölf „Stern“-Redakteure beschlossen Anfang der 70ziger Jahre, einen Motorboot-Führerschein zu machen. Ich gehörte auch dazu.

Als die Schlußprüfung durchgeführt wurde, waren nur zwei übrig geblieben: Ulrich Bumenschein, der Leiter des Ressorts für Wissenschaft und Technik, und ich.

Wir beide bestanden die Prüfung, ich allerdings nur, weil ich drei Tage und drei Nächte durchgebüffelt und alle 300 Fragen, von denen ich mindestens 30 richtig beantworten musste, auswendig gelernt hatte. Denn wegen der ständigen Abwesenheit von Hamburg waren nicht nur meine Kollegen ausgeschieden, sondern auch ich hatte manchen Kursus-Abend versäumt.

Hermann Göring-Yacht "CARIN II"Einige Jahre später fragte mich Ulrich Blumenschein, ob ich mir denn schon ein Boot gekauft hätte. Wenn nicht, wüsste er eins für mich. Jetzt erfuhr ich, dass der Ressortleiter, für den ich oft Flugzeugabstürze und unter anderem auch die Reportage „Runter kommen sie immer“ recherchiert hatte, so nebenbei auch Herausgeber der Yacht-Zeitschrift „Boote“ war.

Er erklärte mir, dass er den „Stern“-Kollegen Graudenz nach Oberwinter bei Bonn schicken wollte, der ihm für die Yacht-Zeitschrift einen Bericht schreiben sollte. Schließlich handele es sich um die ehemalige Motoryacht Hermann Görings, die nach dem Krieg über ein Jahrzehnt lang die Yacht der britischen Krone gewesen sei und sogar den Namen des Kronprinzen „Prince Charles“ getragen hätte. Diese Yacht hätte die englische Königin an Frau Göring zurückgegeben und diese hatte das Boot wiederum einem Bonner Druckereibesitzer verkauft, der es nun ebenfalls wieder für 160 000 DM verkaufen wolle.

Gerd Heidemann Auf der "CARIN II"Das war dann die Gelegenheit für Sie, zuzugreifen?

Sicher und damals sagte ich zu Ulrich Blumenschein, dass man das Schiff nach Amerika weiter verkaufen könnte. Und ich fragte ihn: „Wollen wir es nicht gemeinsam kaufen und dann einen Käufer in Amerika suchen?“ Er fand die Idee anfangs sehr gut, aber bevor ich mit meinem Kollegen Graudenz nach Oberwinter abreiste, machte er einen Rückzieher, da ihm seine Frau von dem Kauf abgeraten hatte. Ich sollte aber das Schiff für den Bericht fotografieren.

Bei unserem Besuch an Bord des ziemlich heruntergekommenen Schiffes, gab es noch einen anderen Interessenten. Darum fragte ich kurzentschlossen den Eigner, ob er mir das Schiff verkaufen würde, wenn ich es in drei Jahresraten abzahlen dürfe. Er stimmte zu und auf einem Bogen Schreibpapier des Steigenberger Hotels in Bonn entwarfen wir den Kaufvertrag. Nun war ich zwar noch nicht der stolze Eigner dieser 27,5 Meter langen Dreischrauben-Motoryacht, durfte aber das Schiff einige Monate später nach Hamburg holen und mit der Renovierung beginnen. Nach und nach schleppte mir mein Kollege Jochen von Lang, der sich beim „Stern“ für Zeitgeschichte zuständig fühlte, einige frühere SS-Generäle und andere zeitgeschichtliche Persönlichkeiten an Bord, damit mir diese etwas über die Geschichte des Schiffes erzählen sollten.

vertr5Hat sich auch Henry Nannen für Ihre Neuanschaffung interessiert und Sie an Bord besucht?

Nannen, der ja ebenfalls Eigner einer Motoryacht war, wollte mein Schiff sehen und schloss mit mir sogar einen Buchvertrag zum Thema „Bordgespräche“ ab. In dem musste ich mich verpflichten, weiter solche Personen der Zeitgeschichte einzuladen, das Schiff dafür in einen repräsentativen Zustand zu versetzen und es drei Jahre lang für diese Gespräche dem Verlag Gruner + Jahr zur Verfügung zu stellen.

Noch am selben Tag erhielt ich dafür einen Vorschuss von 60 000 Mark. Das war dann auch der Grund, warum ich in der Folgezeit immer wieder Generäle aus der NS-Zeit und ihre Gegner von einst auf das Schiff einlud und die Gespräche mit deren Genehmigung auf Tonband aufzeichnete. Aber immer wenn ich Zeit brauchte, um die Bänder abzuschreiben, schickte mich Nannen wieder in die Weltgeschichte hinaus, so dass das Buchmanuskript nie fertig wurde.

Da auch mein Kollege Jochen von Lang diese ehemaligen SS-Führer duzte, boten diese auch mir bald das Du an. Aber auch der ehemalige amerikanische Kommandant des Kriegsverbrecher-Gefängnisses von Spandau, Colonel Eugen K. Bird, wurde bald ein guter Freund und hielt auch nach der Hitler-Tagebuch-Affäre zu mir.

 

Alle Fotorechte:
Gerd Heidemann; Animation: U. Pidun/SPREEZ.

Es wurde und wird vielfach noch heute spekuliert, Sie hätten sich anlässlich solcher Recherchen und insbesondere in Hinblick auf viele Treffen mit Alt-Nazis auf der „CARIN II“ tief in die NS-Vergangenheit verstrickt. Deutlicher ausgedrückt, vermuteten und vermuten viele, sie hätten ernsthafte Begeisterung für die NS-Vergangenheit entwickelt und würden Sympathien dafür hegen?

Spekulieren kann man ja viel. Fakt ist, dass Recherchen in diesem Bereich nun einmal Kontakte erforderten. Was die NS-Themen betraf, so hatte ich ja bereits im April 1955, als ich noch freier Journalist war, einen Fotobericht über eine KZ-Sammlung unter dem Titel „Archiv des Grauens“ fertiggestellt. Meine Fotos erschienen am 23.April 1955 im „Hamburger Echo“ und in der Münchner Illustrierten, Ausgabe Nr.17/55. Ein Jahr später spürte ich in Lübeck den ehemaligen Oberreichsanwalt Ernst Lautz auf und fotografierte ihn. Nach der Veröffentlichung meiner Reportage im „Stern“ Nr. 5 vom 04.02.56, die unter dem Titel „Fürstlicher Lohn für des Teufels Anwalt“ erschien, wurde ihm die Pension um etwa die Hälfte gekürzt.

Anschließend berichtete ich über Lina Heydrich, die Witwe von Reinhard Heydrich, die elf Prozesse gegen die Bundesregierung führte. Diese Bildreportage erschien im „Stern“ Nr. 19 vom 12.05.56 unter dem Titel: „Für unser Geld!“ Quasi als Sport betrieb die Witwe des berüchtigten SD-Chefs Heydrich Prozesse um eine Rente.

Gerd Heidemann auf der "CARIN II"Diese komplexen Recherchen führten also tatsächlich auch zu weiteren, ernsthaften Konsequenzen?

Ja, die Recherchen hatte durchaus weitreichende Konsequenzen. Beispielsweise erregte auch ein Bildbericht über den berüchtigten KZ-Arzt Professor Dr. Carl Clauberg großes Aufsehen und führte zu einem Ermittlungsverfahren. Denn es war mir gelungen, heimlich in das Kieler Gefängnis zu gelangen, Fotos von Clauberg zu machen und auch wieder hinaus zu gelangen, ohne dass es ein Justizvollzugsbeamter mitbekommen hatte. Daraus wurde „Der Fall Clauberg: Die Wunden werden aufgerissen. Nach 13 Jahren wird der Frauenarzt Professor Clauberg für seine Taten in Auschwitz vor einem deutschen Gericht stehen.“Veröffentlicht wurde dies im „Stern“ Nr.3 vom 19.01.1957.

Danach folgte ein Bericht im „Stern“ Nr. 20 des Jahres 1965 über die blutige NS-Vergangenheit des Wiesbadener Polizeichefs Oskar Josef Christ unter dem Titel: „Diesmal kein Händedruck. Die Vergangenheit des Wiesbadener Polizeichefs überschattet den Königin Besuch“. Christ musste deshalb sein Amt aufgeben. 1978 bat mich Erich Kuby, für den ich bereits die Fibag-Affäre und die Konsul-Weyer-Story recherchiert hatte, um Recherchen über den SS-General Jürgen Stroop. Der hatte den Warschauer Aufstand niedergeschlagen und wurde für seine Taten von den Polen hingerichtet. Die Geschichte erschien im „Stern“ Nr. 43 am 10.10.1978 und trug den Titel „Protokoll aus der Hölle“. Anschließend musste ich mich auf Wunsch Erich Kubys, der mich deshalb von Henri Nannen angefordert hatte, monatelang mit Recherchen über Benito Mussolini beschäftigen. Wobei ich dann den Auftrag bekam, dazu alle ehemaligen in Italien stationierten SS-Führer zu befragen.

Und wann kam SS-General Wolff ins Spiel? Mit ihm sagte man Ihnen damals eine besonders enge Freundschaft nach?

Wolff kam anlässlich dieser intensiven Mussolini-Recherchen ins Spiel. Denn ich erhielt auch Informationen über die Flucht der Nazis nach Südamerika und schlug dieses Thema unter dem Arbeitstitel „SS-Export“ vor. Ich überredete den ehemaligen SS-General Karl Wolff mit mir nach Südamerika zu reisen, um mir dort die Türen bei den von mir aufzuspürenden SS-Flüchtlingen zu öffnen. Bei dieser Gelegenheit wollte ich auch nach Dr. Josef Mengele suchen und herausbekommen, ob Martin Bormann Berlin überlebt hatte und jemals nach Südamerika gelangt war.

 

Alle Fotorechte:
Gerd Heidemann; Animation: U. Pidun/SPREEZ.

Ist es zu dieser Reise dann tatsächlich auch gekommen?

Ja, ich trat die Reise im Juni 1979 an, nachdem ich zwei Monate zuvor noch in Uganda war. Dort hatte ich den Sturz des Diktators Idi Amin miterlebt und geholfen, die Leichen meiner ermordeten Kollegen zu bergen. Und nur, weil sich im Laufe der Monate ein fast freundschaftliches Verhältnis zwischen dem damals 79-jährigen Karl Wolff und mir entwickelt hatte, bekam ich alle Informationen von ihm, die er bisher verschwiegen hatte. Darum war er auch bereit, gegenüber seinen ehemaligen Untergebenen für mich zu bürgen, so dass sie mir ihre Fluchtgeschichten erzählten. Und sie beichteten mir auch, für welchen westlichen Geheimdienst sie nach dem Krieg gearbeitet hatten. Klaus Barbie, der ehemalige SD-Chef von Lyon, versprach sogar, mich mit Dr. Mengele zusammen zu bringen. Er wusste allerdings damals noch nicht, dass Mengele im Februar 1979 beim Baden in Brasilien ums Leben gekommen war.

Karl Wollf, ehemaliger SS-General Daraus wurde dann ebenfalls eine spektakuläre „Stern“-Reportage?

Nicht sofort, sondern erst später. Denn nach meiner Rückkehr wollte die Chefredaktion des „Stern“ meine Reportage zuerst nicht veröffentlichen, weil man frühere SS-Leute nicht als Zeugen gegen die katholische Kirche benutzen wollte. Denn die Kirche hatte ja bei der Flucht vieler SS-Männer durch deren Unterbringung in italienischen Klöstern und der Ausstellung von Rot-Kreuz-Pässen geholfen. Außerdem erkannte man nicht die Bedeutung Klaus Barbies und so wurde das Interview mit ihm erst ein Jahr später in der „Stern“-Ausgabe Nr. 42/80 unter dem Titel: „Die neue Macht des alten Nazi“, veröffentlicht.

Obwohl mein Schiff dadurch an Wert verlieren konnte, entlarvte ich den ehemaligen Eigner Hermann Göring in einer „Stern“-Veröffentlichung einige Hefte vorher, wie er sein Lieblings-Jagdrevier im Urwald von Bialowieska von Luftwaffensoldaten „partisanen- und judenfrei“ machen ließ. Erschienen ist diese Reportage übrigens unter dem Titel „Der Menschenjäger“ im „Stern“, Ausgabe 37/80. Nachdem Klaus Barbie zwei Jahre später in die Hände der Franzosen gefallen war und in Lyon vor Gericht gestellt werden sollte, war mein Interview plötzlich die große Sensation. Unter dem Titel „Das Geständnis“ im „Stern“ Nr. 7 wurde es am 10. Februar 1983 abermals veröffentlicht und dann weltweit nachgedruckt.

Lesen Sie in Teil IV: „Journalisten sind immer nur so gut wie ihre letzte Geschichte“

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